Herz aus Glas (German Edition)
not be long 'til our wedding day …«
Meine Knie wollten nachgeben, aber ich klammerte mich an der Klinke fest, so gut es ging. In meinem Schädel rauschte und hämmerte es, ich blinzelte …
… und stand an der Balkonbrüstung.
Vor Schreck taumelte ich zurück. Wie war ich hierhergekommen? Ich konnte mich nicht daran erinnern, das Zimmer verlassen zu haben, und doch stand ich hier, mit nackten Füßen auf den eiskalten Fliesen und eingehüllt von diesem sonderbar wattigen Nebel. Meine Hände umklammerten das Geländer. Hatte ich etwa vorgehabt, darüberzusteigen und …
Das kann nicht sein! Mein Verstand setzte einen Augenblick lang aus. Blinzelnd kämpfte ich gegen den Nebel und wagte nicht, in die Tiefe zu schauen. Dort unten befand sich der Terrassenboden. Steinharter Marmor. Ich versuchte, meine Hände vom Geländer zu lösen, aber es ging nicht. Ich stand wie festgewachsen, wie hypnotisiert.
Erst nach mehreren Minuten hatte ich mich so weit in der Gewalt, dass ich das Geländer loslassen und einen Schritt zurückweichen konnte.
Schritte unten auf dem Weg zum Haupthaus ließen mich aufhorchen. Ich wagte, einen vorsichtigen Blick nach unten und sah David, der zu einer der Bänke auf dem Rasen ging und sich dort im Schein der Laterne niederließ. Er starrte auf etwas in seiner Hand. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass es der fliederfarbene Umschlag war, den ich schon ein paar Mal in seiner Hosentasche gesehen hatte. Unschlüssig schlug er den Umschlag gegen seine Fingerspitzen, dann öffnete er ihn und nahm ein einzelnes Blatt heraus. Während seine Blicke über die Zeilen wanderten, berührte er seine Lippen mit dem Knöchel seines Zeigefingers.
Ich ertappte mich dabei, dass ich die Hand ausstreckte, als könne ich ihn über die Entfernung hinweg berühren. Aber dann wurde mir erneut schwindelig und erschrocken langte ich nach dem Geländer. Die Nebelschwaden in meinem Kopf verdichteten sich wieder. Und dann hörte ich diese wispernde Frauenstimme. Sie sagte nur ein einziges Wort.
»David!«
Unten auf seiner Bank ruckte Davids Kopf hoch. Und ich schlug beide Hände vor den Mund, um nicht anzufangen zu schreien. Offenbar hatte er das unheimliche Wispern auch gehört!
W ie betäubt wich ich rückwärts. Schritt für Schritt.
Übelkeit würgte mich und ich hielt mir den Mund zu, um mich nicht zu übergeben. Meine Füße und auch meine Beine waren inzwischen so eiskalt, dass sie bei jedem Schritt schmerzten. Mit der freien Hand tastete ich nach der Tür hinter meinem Rücken. Meine Fingerspitzen stießen gerade dagegen, als unten auf dem Rasen eine Männerstimme ertönte.
»Ich habe dich von meinem Fenster aus gesehen.« Es war Henry. Offenbar verbrachte er wieder einmal eine Nacht im Herrenhaus. Er baute sich vor David auf, stemmte die Hände in die Hüften. »Was machst du hier? Sag nicht, du liest schon wieder diesen elenden Brief!«
Davids Entgegnung war zu leise, als dass ich sie verstehen konnte.
»Jesus, David, du kannst dich doch nicht für den Rest deines Lebens in Schuldgefühlen suhlen!«
Wieder war es still.
»Der Rest meines Lebens …«, murmelte David.
Henry stieß einen unterdrückten Fluch aus. »Du machst mir echt Angst, Alter, weißt du das?«
»Keine Sorge!«, sagte David kühl. »Ich habe nicht vor, hinter Charlie herzuspringen.«
Irgendwie war ich froh, dass er das sagte. Ich lehnte mich gegen die Balkontür, aber dann schoss es mir durch den Kopf, dass David Henry vermutlich anlog.
»Wirklich, David?« Henry klang besorgt. Offenbar war er auf den gleichen Gedanken gekommen wie ich.
David brummte etwas, das wie ein Ja klang.
»Suchst du immer noch nach diesem elenden Buch?«, fragte Henry.
David faltete den Brief sorgsam zusammen, steckte ihn wieder in den Umschlag und schob den Umschlag in seine Tasche. Dann rieb er sich mit den Händen das Gesicht.
»Ich kann es einfach nicht finden, Henry, und das macht mich vollkommen irre! Ich glaube, ich werde noch wahnsinnig.«
Ich wartete darauf, dass er Henry von der wispernden Stimme erzählen würde, aber er tat es nicht. Grübelnd kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Konnte es sein, dass ich mir die Stimme nur eingebildet hatte? Aber David hatte sie eindeutig auch gehört. Oder war sein Kopf wegen eines ganz anderen Geräuschs hochgeruckt? Vielleicht hatte er hinter sich einfach nur einen Ast knacken gehört und ich hatte die falschen Schlüsse gezogen. Vielleicht wurde nicht er irre, sondern ich. Ich wusste
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