Herz aus Glas (German Edition)
reagieren.«
Das hatte ich in der Tat. »Stimmt«, sagte ich. »Und das ändert sich nur wieder, wenn du dich änderst. Du musst ihnen zeigen, dass du dich auch wie ein normaler Mensch verhalten kannst.«
Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen und diesmal konnte ich tatsächlich ein wenig von dem David auf Henrys Foto durchschimmern sehen. Den fröhlichen, gut aussehenden David. »Du hältst mich also für nicht normal?«
»Nur ein bisschen«, sagte ich. Mein Herz raste.
Er überlegte. »Warum willst du, dass ich mitkomme?«
Habe ich das nicht gerade erklärt?
»Warum willst du wirklich, dass ich mitkomme?«, präzisierte er seine Frage. Uff! Warum gelang es ihm immer wieder, mich sofort zudurchschauen, ohne dass ich etwas dagegen machen konnte? Hilflos zuckte ich die Achseln. »Ich hätte dich eben gern dabei.« Ich biss mir auf die Zunge. So, wie er erzogen worden war, blieb ihm jetzt nichts anderes mehr übrig, als mitzukommen, das wusste ich wohl. Und ich täuschte mich nicht.
Er nickte langsam.
»Also gut«, sagte er. »Wann geht es los?«
G egen 21 Uhr saß ich neben David im Fond von Jasons Pickup. Henry hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Wir ließen uns von Taylor zum Stand am Lilly Pond fahren, wo die Silvesterparty stattfinden sollte. Wir hatten ein steifes Abendessen hinter uns, bei dem sich niemand so recht wohlgefühlt hatte – Jason und mein Dad eingeschlossen. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass Jasons Silvesterüberraschung darin bestand, dass er die unnachahmliche Kimmi Primrose eingeladen hatte. Ich hatte eine längere Diskussion mit meinem Vater führen müssen, in der es hauptsächlich darum ging, dass ich ihn vor der Bestsellerautorin retten sollte. Ich hatte mich schlichtweg geweigert. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen, aber wirklich nur fast. Immerhin war mein Vater schuld daran, dass ich mich in diesem Haus voller Bekloppter befand! An diesen Gedanken klammerte ich mich und schaffte es tatsächlich, Nein zu sagen, als Dad mich allen Ernstes gefragt hatte, ob er nicht mit zu unserer Party kommen konnte.
»Danke, Taylor, dass du uns hinfährst«, hörte ich Henry sagen.
Für Taylor bedeutete die Fahrt an den ungefähr fünfzehn Kilometer entfernten Lilly Pond nur einen kleinen Umweg auf ihrem Weg zu ihrer eigenen Party, die sie mit ein paar Bekannten von früher feiern wollte. Für den Rückweg hatten wir beschlossen, ein Taxi zu nehmen.
Während Taylor den Wagen über die engen Straßen der Insel steuerte, beobachtete ich David möglichst unauffällig. Er trug eine Jeans und darüber einen dunklen Sweater und eine dicke Daunenjacke. Ich konnte an seiner Miene nicht ablesen, wie er sich fühlte, und darum konzentrierte ich mich lieber auf das Gespräch, das Taylor und Henry führten.
»Wie weit bist du?«, fragte Taylor gerade. Sie sprachen offenbar über ein Bild, das Henry gestern angefangen hatte, eine Strandszene mit Segelbooten. Ich hätte gern gewusst, ob es auch darauf diese unheimliche zweite Ebene gab, die mir bei unserem Besuch in seiner Wohnung einen solchen Schrecken eingejagt hatte.
»Fertig«, behauptete Henry.
Taylor warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, konzentrierte sich dann aber wieder auf die Straße. Es war glatt und eine Menge Verkehr. Anscheinend hatte die halbe Insel entschieden, den Silvesterabend nicht zu Hause zu verbringen. Ein Sportcabrio mit offenem Verdeck kam uns entgegen. Der Fahrer machte ein Victory-Zeichen und seine Passagiere reckten johlend ein paar Flaschen in die Luft. Ich stellte mir vor, wie eisig der Fahrtwind sein musste, und rieb mir unwillkürlich die Arme.
David warf mir einen fragenden Seitenblick zu.
Ich lächelte ihn an, aber darauf reagierte er nicht. Natürlich!
Ich biss die Zähne zusammen und wandte mich stattdessen an Henry. »Fertig?«, fragte ich staunend. »Du malst ziemlich schnell, kann das sein?«
Er zuckte die Achseln. »Nur, wenn ich ein Thema habe.« Er hatte sich in einen langen schwarzen Mantel geworfen und einen grauen Kaschmirschal um den Hals gewickelt, der vermutlich teurer gewesen war als mein gesamtes Outfit. Seine langen Haare trug er offen, was ihm einen dramatischen Ausdruck verlieh. Gegen seine vor Energie sprühende gute Laune wirkte David still, blass und ziemlich melodramatisch.
»Ein Thema«, wiederholte ich.
Henry drehte sich so, dass er mich ansehen konnte. »Etwas, das mich umtreibt«, erklärte er. »Eine Idee, ein Plan, keine Ahnung, wie ich es nennen
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