Herz dder Pflicht
vermuten, dass auch die Zolloffiziere schon längere Zeit nichts mehr zu sich genommen hatten.
Sie setzten sich alle zu Tisch, und als die Diener nach wenigen Minuten mit Bechern und Krügen voll Bier zurückkehrten, brachte Sadler einen Trinkspruch auf Miss Compton aus: „Auf die edle Spenderin!“ Sogar Jinkinson hatte seine säuerliche Miene verloren. Nach dem Ende des Mahls begleitete Pandora die beiden Offiziere zum Stallhof, damit sie ihrem Bruder nicht erneut begegneten. Richard gesellte sich zu ihr, und sie beobachteten gemeinsam, wie die Männer in die Nacht hinausritten.
„Ich werde nicht mit Ihnen zusammen hineingehen“, sagte er ruhig. „Wir sollten Ihrem Bruder keine weitere Gelegenheit geben, uns anzugreifen.“
„Das ist wahr“, stimmte Pandora betrübt zu, doch ihre Miene erhellte sich, als Richard ihre Hand küsste. Sie ging ins Haus, um sich in ihr Schlafzimmer zurückzuziehen. Dabei benutzte sie die Hintertreppe, so dass niemand merkte, dass sie den Abend nicht mit Kopfschmerzen im Bett verbracht hatte.
Richard beschloss, eine Weile zu warten, bevor er ihr folgte. Plötzlich trat George neben ihn und fragte: „Waren Sie lange Kavallerist, Mr. Ritchie? Und welche Umstände haben Sie dazu verurteilt, Hauslehrer zu werden?“
„Sie irren sich“, erwiderte Richard ruhig.
George schüttelte den Kopf. „Oh nein, diesen Verdacht habe ich schon lange – seit ich Sie zum ersten Mal auf einem Pferd sitzen sah. Besonders aber, nachdem Sie mit Brodribbs bösem Scherz neulich fertig wurden. So etwas schafft nur ein geübter Reiter.“
„Der Lauf des Lebens hat mich hergeführt, wie vermutlich auch Sie, George.“
„Mag sein“, versetzte der Reitknecht unbeeindruckt. „Ich hoffe für Sie, dass Sie Miss Pandora retten können. Mehr will ich für heute nicht sagen. Gute Nacht, Sir, und schlafen Sie besser, als Sie das vergangene Nacht getan haben.“
Er entfernte sich so leise, wie er gekommen war.
Sadler war sicher, dass Roger Waters und William Compton in den Schmuggel von Gütern und Geld verwickelt und vermutlich sogar die Drahtzieher waren, konnte es indes nicht beweisen. Viele andere erschienen ihm genauso verdächtig, doch in diesen Fällen fehlten ihm ebenfalls die Beweise. Was er von Mr. Edward Ritchie halten sollte, wusste er nicht. Der harmlose Hauslehrer war einfach zu gut, um wahr zu sein. Er hatte ihn in der Gesindestube von Compton Place beobachtet, und es war ihm nicht entgangen, dass der junge Mann allem, was gesagt wurde, sehr genau zuhörte.
Vielleicht war das lediglich die Gewohnheit eines Lehrers, der den Dingen seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken pflegte, aber das glaubte Sadler nicht. Er hielt Ritchie für äußerst scharfsinnig, stand allerdings mit dieser Meinung allein. Die Art, wie Brodribb sich vor den Bediensteten über ihn lustig gemacht hatte, und das allgemeine Gelächter bewiesen, dass dies nicht das erste Mal gewesen war.
Am nächsten Nachmittag ritt er nach Compton Place und erklärte George, dass er noch einmal mit Mr. Ritchie reden wolle, jedoch ohne dass jemand im Haus davon erfuhr.
George, der allein war – die anderen Reitknechte begleiteten ihre Herren auf einem Ritt über die Downs –, schüttelte den Kopf. „Das wird nichts bringen. Er weiß nichts Genaues über den Schmuggel, der hier in der Gegend vor sich geht.“
„Im Gegensatz zu einigen anderen“, erwiderte Sadler. „Ein kleiner, frühzeitiger Hinweis wäre hilfreich. Hinterher von Aktionen zu erfahren ist meinem Ruf nicht gerade förderlich.“
„Jinkinson muss eine falsche Information bekommen haben. Sonst wäre der Reinfall bei Howell’s End nicht passiert.“
„Für die Schmuggler war es höchst vorteilhaft, dass sein Gewährsmann sich irrte, finden Sie nicht? Jinkinson wird falsch informiert und ich, wie Sie wissen, zu spät. Haben Sie etwas dazu zu sagen?“
„Nur dass es ein weiterer Reinfall wäre, hinter Mr. Ritchie herzujagen. Von ihm werden Sie nichts erfahren. Er ist ein zäher Bursche trotz seines freundlichen Wesens. Aber ich werde ihn für Sie herholen.“
Zehn Minuten später erschien Richard bei den Ställen. Er trug seine Brille und wirkte gequält. „Was ist los, Sadler? Ich dachte, dass diese unangenehme Angelegenheit nach der gestrigen Inquisition beendet wäre.“
„Keineswegs, Mr. Ritchie, und aus irgendeinem Grund denke ich, dass Sie mehr wissen, als Sie mir mitteilen.“
„Mir ist nicht klar, wie Sie auf diesen Gedanken kommen. Meine
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