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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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sich um und führte mich in
     ein Wartezimmer. Ich gab meinen Namen an und sah mich um. In der Mitte ein Holztisch, einfache Stühle entlang den Wänden,
     an einem Ende eine große glänzende Karte, mit allen Farben des Regenbogens markiert. Da war eine Menge Rot – immer schön zu
     sehen, weil man weiß, daß dort echte Arbeit geleistet wird   –, verteufelt viel Blau, ein bißchen Grün, ein paar Tupfer Orange, und an der Ostküste ein violetter Fleck, der zeigte, wo
     die lustigen Pioniere des Fortschritts ihr lustiges Lagerbier trinken. Doch ich sollte in keins dieser Gebiete ziehen. Ich
     ging ins Gelbe. Mitten ins Zentrum. Und dort war der Fluß – faszinierend – tödlich – wie eine Schlange. Uff. Eine Tür öffnete
     sich, ein Sekretärshaupt mit weißem Haar, doch mitfühlender Miene, tauchte auf, ein dürrer Zeigefinger winkte mich ins Allerheiligste.
     Drinnen war das Licht trüb, ein |17| schwerer Schreibtisch besetzte die Mitte des Raums. Hinter dem Ding kam ein bleicher, plumper Schemen im Gehrock hervor. Der
     Große Mann höchstpersönlich. Er war schätzungsweise knapp einen Meter siebzig groß und saß am Schalthebel von etlichen Millionen.
     Er schüttelte mir die Hand, so meine ich jedenfalls, murmelte irgend etwas, war mit meinem Französisch zufrieden.
Bon voyage
.
    Nach fünfundvierzig Sekunden stand ich wieder in dem Wartezimmer mit dem mitfühlenden Sekretär, der mir, voll Kummer und Anteilnahme,
     ein Dokument zu unterzeichnen gab. Ich glaube, neben anderen Dingen verbürgte ich mich dafür, keine Handelsgeheimnisse zu
     verraten. Nun, das werde ich auch nicht tun.
    Langsam begann ich mich ein wenig unwohl zu fühlen. Wißt ihr, solche Förmlichkeiten bin ich nicht gewohnt, und irgend etwas
     Verhängnisvolles lag dort in der Luft. Als wäre ich in eine Art Verschwörung hineingeraten – ich weiß nicht   –, irgend etwas stimmte nicht ganz, und ich war froh, als ich wieder draußen war. Im Vorzimmer strickten die zwei Frauen fieberhaft
     ihre schwarze Wolle. Leute kamen, und die Jüngere lief hin und her, um sie vorzustellen. Die Ältere blieb auf ihrem Stuhl
     sitzen. Ihre flachen Tuchpantoffeln ruhten auf einem Fußwärmer und eine Katze schlief in ihrem Schoß. Auf dem Kopf trug sie
     ein gestärktes weißes Etwas, hatte eine Warze auf der Wange und ein silbergefaßter Kneifer klemmte auf ihrer Nasenspitze.
     Über den Rand des Kneifers musterte sie mich. Die flüchtige, gleichgültige Gelassenheit ihres Blicks machte mir Angst. Zwei
     alberne, heitere junge Männer wurden vorbeigelotst, und ihnen warf sie den gleichen schnellen Blick teilnahmslosen Wissens
     zu. Sie schien alles über sie zu wissen und auch über mich. Mich beschlich ein beklemmendes Gefühl. Sie wirkte so unheimlich
     und schicksalhaft. Noch oft, als ich längst weit fort war, dachte ich an diese Zwei, die das |18| Tor zur Finsternis bewachten und dabei schwarze Wolle strickten wie für ein wärmendes Bahrtuch: die eine geleitete hinein,
     geleitete unablässig ins Unbekannte hinein, die andere musterte die heiteren, albernen Gesichter mit teilnahmslosen alten
     Augen. ›
Ave!
Alte Strickerin der schwarzen Wolle.
Morituri te salutant
.‹ Nicht viele von denen, auf die ihr Blick fiel, sahen sie je wieder, nicht die Hälfte – bei weitem nicht.
    Nun lag noch der Arztbesuch vor mir. ›Eine reine Formsache‹, versicherte mir der Sekretär mit einem Gesicht, als nehme er
     ungeheuren Anteil an all meinen Sorgen. Folglich kam von oben ein junger Bursche, der den Hut tief über der linken Braue trug,
     eine Art Schreiber, nehme ich an – es mußte Schreiber in der Firma geben, auch wenn das Haus so still war wie ein Haus in
     einer Totenstadt   –, und brachte mich weg. Er war schäbig und liederlich, hatte Tintenkleckse auf dem Jackenärmel und sein Halstuch hing groß
     und bauschig unter einem Kinn, das aussah wie die Spitze eines alten Stiefels. Für den Arzt war es noch zu früh, und so schlug
     ich vor, einen trinken zu gehen, worauf er sich von seiner jovialen Seite zeigte. Über dem Wermut pries er die Geschäfte der
     Gesellschaft an, bis ich ganz nebenbei meine Verwunderung darüber äußerte, daß er selbst nicht auch dort hinaus fuhr. Da wurde
     er plötzlich sehr kühl und gefaßt. ›Ich bin nicht so dumm, wie ich aussehe, sagte Plato zu seinen Schülern‹, gab er als Spruchweisheit
     zum besten, leerte festentschlossen sein Glas und wir erhoben uns.
    Der alte Doktor fühlte meinen Puls,

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