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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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weshalb – überkam mich das komische Gefühl, ein Hochstapler zu sein. Eigenartig, daß ich,
     der ich früher binnen vierundzwanzig Stunden zu jedem Ort der Erde aufgebrochen war, und das mit weniger Skrupel, als andere
     Leute beim Überqueren der Straßen haben, daß ich vor dieser alltäglichen Geschichte einen solchen Moment erlebte – Zögern
     wäre zuviel gesagt, eher ein verwundertes Innehalten. Am besten kann ich es euch erklären, indem ich sage, daß ich für ein,
     zwei Sekunden das Gefühl hatte, ich wäre im Begriff, statt ins Zentrum eines Kontinents, ins Zentrum der Erde zu reisen.
    Ich schiffte mich auf einem französischen Dampfer ein, der jeden verfluchten Hafen anlief, den sie da draußen haben, mit dem
     einzigen mir erkennbaren Zweck, Soldaten und Zollbeamte auszuladen. Ich beobachtete die Küste. Die Küste zu beobachten, während
     sie am Schiff vorbeigleitet, ist wie über einem Rätsel zu grübeln. Sie liegt vor dir – lächelnd, grollend, einladend, prächtig,
     armselig, fade oder wild, und immer stumm, obwohl sie zu flüstern scheint: Komm und finde mehr heraus. Die Küste vor mir war
     fast gestaltlos, als befände sie sich noch im Werden, ein Anblick von eintöniger Grimmigkeit. Bis weit, weit in die Ferne
     erstreckte sich der Rand eines ungeheuren Dschungels, dunkelgrün, fast schwarz, gesäumt von weißer Brandung, so gerade wie
     mit dem Lineal gezogen entlang der blauen See, deren Glitzern im aufziehenden Dunst verschwamm. Die Sonne brannte heiß, das
     Land schien vor Dampf zu glänzen und zu tropfen. Hier und da tauchten hinter der weißen Brandung gräuliche, weißliche Tupfen
     auf, vielleicht unter einer flatternden Fahne   – Siedlungen, jahrhundertealt, und dennoch kaum mehr als Stecknadelköpfe vor der unberührten Weite dieses Hintergrunds. Wir
     stampften voran, hielten, setzten Soldaten ab; fuhren weiter, setzten Zollbeamte ab, die in dieser scheinbar gottverlassenen
     Wildnis unter einem |22| Blechdach und einer einzelnen Fahnenstange Zölle erheben sollten, setzten noch mehr Soldaten ab – vermutlich zum Schutz der
     Zollbeamten. Ich hörte, daß manche in der Brandung ertranken, aber ob das stimmte oder nicht, schien niemand besonders zu
     interessieren. Sie wurden einfach hinausgeworfen, und weiter ging es. Jeden Tag sah die Küste gleich aus, als hätten wir uns
     nicht bewegt, und doch passierten wir verschiedene Orte   – Handelsorte – mit Namen wie Gran’ Bassam, Little Popo, Namen, die einer derben Posse zu entstammen schienen, aufgeführt
     vor einer unheilvollen Kulisse. Die Untätigkeit des Passagiers, meine Einsamkeit unter all den Männern, mit denen mich nichts
     verband, die ölige, schlaffe See, das gleichförmige Dunkel der Küste, all das schien mich von der Wahrheit der Dinge fernzuhalten,
     in den Schlingen einer traurigen und sinnlosen Täuschung. Dagegen war die Stimme der Brandung, die dann und wann zu mir durchdrang,
     eine wahre Freude, als hörte ich einen Bruder reden. Sie war ein Stück Natur, das seinen Grund, das eine Bedeutung hatte.
     Und dann und wann stellte ein Boot vom Strand eine kurze Verbindung zur Wirklichkeit her. Schwarze Kerle ruderten. Schon von
     weitem blitzte das Weiße ihrer Augen auf. Sie riefen, sangen; ihre Körper waren schweißüberströmt, ihre Gesichter wie groteske
     Masken; doch sie hatten Knochen, Muskeln, eine wilde Lebenskraft, diese Burschen, und in ihren Bewegungen lag geballte Energie,
     so echt und natürlich wie die Brandung entlang der Küste. Sie brauchten keine Entschuldigung für ihre Existenz. Das machte
     ihren Anblick so wohltuend. Kurze Zeit gaben sie mir das Gefühl, ich gehörte immer noch zu einer Welt eindeutiger Tatsachen;
     doch das Gefühl währte nie lang. Irgend etwas kam immer und verscheuchte es. Einmal, erinnere ich mich, begegneten wir einem
     Kriegsschiff, das vor der Küste vor Anker lag. Am Strand war nicht einmal eine Hütte, und das Schiff beschoß den Busch. Anscheinend |23| führten die Franzosen dort einen ihrer Kriege. Die Flagge hing schlaff wie ein Lappen herunter, die Mündungen von langen Sechs-Zoll-Kanonen
     ragten überall aus dem niedrigen Rumpf, die schmierige, seimige Dünung hob und senkte träge das Schiff und ließ die dünnen
     Masten schaukeln. Inmitten der endlosen Leere von Erde, Himmel und Wasser lag das Schiff und feuerte, unbegreiflich, auf einen
     Kontinent. Plopp, machte eine der Sechs-Zoll-Kanonen; eine kleine Flamme schoß heraus und

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