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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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mit den Gedanken offensichtlich weit weg. ›Gut! Gut für dort‹, murmelte er, und dann fragte
     er mit einem gewissen Eifer, ob er meinen Schädel vermessen dürfe. Etwas überrascht gab ich meine Zustimmung, worauf er ein
     Gerät hervorholte, eine Art Greifzirkel, meine Maße vorn und hinten und in jeder Richtung nahm und sich dabei sorgfältig Notizen
     machte. Er war ein unrasierter |19| kleiner Mann in einem verschossenen, kaftanartigen Mantel, die Füße in Pantoffeln, und ich hielt ihn für einen harmlosen Narren.
     ›Im Interesse der Wissenschaft bitte ich immer um Erlaubnis, die Schädel derer zu vermessen, die dort hinaus gehen‹, erklärte
     er. ›Und wenn sie wiederkommen, noch einmal?‹ fragte ich. ›Oh, ich sehe sie nie wieder‹, sagte er, ›und außerdem finden die
     Veränderungen im Innern statt, wissen Sie.‹ Er lächelte wie über einen stillen Witz. ›Sie werden also dort hinaus fahren.
     Ausgezeichnet. Und interessant.‹ Er sah mich forschend an und machte sich eine weitere Notiz. Dann fragte er sachlich: ›Hat
     es in Ihrer Familie Fälle von Wahnsinn gegeben?‹ Jetzt war ich sehr verärgert. ›Ist die Frage auch im Interesse der Wissenschaft?‹
     ›Für die Wissenschaft wäre es interessant‹, antwortete er, ohne meiner Irritation Beachtung zu schenken, ›die geistigen Veränderungen
     des Individuums an Ort und Stelle zu verfolgen, aber   ... ‹ ›Sind Sie etwa Irrenarzt?‹ unterbrach ich. ›Das sollte jeder Arzt sein – ein bißchen‹, antwortete der Kauz unbeirrt.
     ›Ich habe eine kleine Theorie, die ihr Messieurs, die ihr dort hinaus fahrt, beweisen helfen müßt. Dies ist mein Anteil an
     den Erträgen, die mein Land dank des Besitzes einer solch großartigen Kolonie einfährt. Den schieren Reichtum überlasse ich
     anderen. Verzeihen Sie mir die Fragen, aber Sie sind der erste Engländer, den ich untersuche   ... ‹ Ich beeilte mich, ihm zu versichern, daß ich nicht im geringsten typisch sei. ›Wenn ich es wäre‹, sagte ich, ›würde
     ich nicht so mit Ihnen sprechen.‹ ›Was Sie sagen, ist ziemlich tiefsinnig, und wahrscheinlich irren Sie sich‹, sagte er lachend.
     ›Vermeiden Sie Aufregung mehr noch als die Sonne. Adieu. Wie sagt Ihr Engländer noch, eh? Good-bye. Ah! Good-bye. Adieu. In
     den Tropen müssen Sie vor allem anderen Ruhe bewahren.‹   ... Er hob warnend den Zeigefinger   ...
›Du calme, du calme. Adieu.‹
    Eines war noch zu tun – Abschied zu nehmen von meiner |20| vortrefflichen Tante. Sie war in bester Stimmung. Wir tranken eine Tasse Tee – meine letzte anständige Tasse Tee für lange
     Zeit – und führten ein langes ruhiges Gespräch vor dem Kamin in einem Zimmer, das auf angenehmste Weise genau so eingerichtet
     war, wie man sich den Salon einer Dame vorstellt. Im Verlauf unserer vertraulichen Unterhaltung wurde mir klar, daß ich der
     Frau des Würdenträgers und weiß Gott wie vielen anderen als außergewöhnlicher, begabter Mensch angepriesen worden war – als
     Glücksfall für die Gesellschaft – ein Mann, den man nicht alle Tage zu fassen bekam. Lieber Himmel! Dabei würde ich nur das
     Kommando auf einem Dreigroschenblechdampfer mit einer Blechpfeife auf dem Dach übernehmen! Doch anscheinend stand ich auch
     im Dienst einer Mission – der höheren Sache, versteht ihr. Ich war so etwas wie ein Sendbote des Lichts, wie ein niederer
     Apostel. Damals wurde viel derartiger Unsinn gedruckt und geredet, und die vortreffliche Frau, die mitten im Strudel dieses
     Humbugs lebte, hatte sich davontragen lassen. Sie sprach davon, ›Millionen von Ungläubigen von ihren barbarischen Sitten abzubringen‹,
     bis ich mich, auf mein Wort, ziemlich unbehaglich zu fühlen begann. Ich versuchte anzudeuten, daß es der Firma um Profit ging.
    ›Du vergißt, lieber Charlie, daß der Arbeiter seines Lohnes wert ist‹, sagte sie heiter. Es ist merkwürdig, wie wenig Frauen
     von der Wahrheit wissen! Sie leben in ihrer eigenen Welt, einer Welt, die es so nie gegeben hat und nie geben wird. Ihre Welt
     ist schlicht zu schön; wollte man sie tatsächlich errichten, würde sie noch vor Sonnenuntergang in Stücke bersten. Irgendeine
     Scheußlichkeit, mit der wir Männer seit dem Tag der Schöpfung zurechtgekommen sind, würde plötzlich auftauchen und alles kaputtmachen.
    Anschließend wurde ich umarmt, angewiesen, Flanell zu tragen, oft zu schreiben und so weiter – und dann ging ich. |21| Auf der Straße – ich weiß nicht

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