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Herz der Finsternis

Titel: Herz der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Conrad
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Ganze auf mich hatte, müßt ihr wissen, wie ich
     dort hinkam, was ich sah, wie ich den Fluß hinauffuhr zu dem Ort, wo ich dem armen Burschen das erste Mal begegnete. Es war
     der äußerste Punkt der Schiffahrt und der Höhepunkt meiner Erfahrung. Es schien eine Art Licht auf alles um mich herum zu
     werfen – und auf meine Gedanken. Dabei war es düster – und elend – in keiner Weise außergewöhnlich – auch nicht sehr klar.
     Nein, nicht sehr klar. Und doch schien es eine Art Licht zu werfen.
    Ich war damals, wie ihr wißt, gerade nach London zurückgekehrt, nach einer langen Zeit auf dem Indischen Ozean, dem Pazifik
     und dem Chinesischen Meer – einer gehörigen Portion Osten, sechs Jahren etwa   –, und lungerte herum, behinderte euch bei der Arbeit und suchte eure Häuser heim, ganz so, als käme ich im himmlischen Auftrag,
     euch zu zivilisieren. Eine Zeitlang gefiel es mir, aber nach einer Weile wurde ich der Muße müde. Da begann ich mich nach
     einem Schiff umzusehen – die schwerste Arbeit der Welt, meiner Meinung nach. Doch die Schiffe würdigten mich keines Blickes.
     Und so wurde ich bald auch dieses Spielchens müde.
    Nun hatte ich schon als kleiner Junge eine Leidenschaft für Landkarten gehabt. Stundenlang betrachtete ich Südamerika oder
     Afrika oder Australien und verlor mich in den Herrlichkeiten des Entdeckertums. Zu jener Zeit gab es noch viele weiße Flecken
     auf der Erde, und wenn ich einen sah, der auf der Karte besonders einladend wirkte (aber das tun sie alle), legte ich den
     Finger darauf und sagte: Wenn ich groß bin, fahre ich dorthin. Ich erinnere mich, daß der Nordpol einer dieser Orte war. Nun,
     ich war noch nicht dort und werde es im Moment auch nicht versuchen. Der Zauber ist dahin. Andere Orte waren um den Äquator
     verstreut, auf jedem Breitengrad und überall in beiden Hemisphären. An einigen bin ich gewesen, |13| und   ... Nun, davon soll jetzt nicht die Rede sein. Doch noch gab es diesen einen – den größten – den weißesten, sozusagen – nach
     dem ich mich besonders sehnte.
    Wohl wahr, inzwischen war er kein weißer Fleck mehr. Seit meiner Kindheit hatte man ihn mit Flüssen und Seen und Namen gefüllt.
     Es war nicht länger der leere Fleck lockender Geheimnisse – der weiße Raum, von dem ein Knabe herrlich träumen konnte. Es
     war ein Ort der Finsternis geworden. Doch es gab dort vor allem noch einen Fluß, einen mächtigen großen Fluß, den man auf
     der Karte sah – wie eine riesige entringelte Schlange, den Kopf im Meer, deren Körper sich reglos weit durch ein riesiges
     Land windet und deren Schwanz in den Tiefen des Kontinents verschwindet. Und als ich ihn in einem Schaufenster auf der Landkarte
     sah, zog er mich an wie die Schlange einen Vogel – einen törichten kleinen Vogel. Ich erinnerte mich daran, daß es eine große
     Firma gab, eine Gesellschaft, die auf dem Fluß Handel trieb. Verflixt noch mal, dachte ich, auf dieser Süßwassermasse können
     sie doch keinen Handel treiben ohne irgendeine Art von Kahn. Dampfschiffe! Warum sollte ich nicht versuchen, bei einem davon
     das Kommando zu übernehmen. Während ich die Fleet Street hinunterlief, ließ mich der Gedanken nicht mehr los. Die Schlange
     hatte mich in ihren Bann geschlagen.
    Ihr müßt wissen, es war eine europäische Firma, diese Handelsgesellschaft; doch ich habe mehrere Verwandte auf dem Kontinent,
     die dort leben, weil es billig ist und nicht so schlimm, wie es aussieht – behaupten sie.
    Ich bedaure zugeben zu müssen, daß ich sie zu behelligen begann. Schon das war für mich neu. Es ist nicht meine Gewohnheit,
     auf diese Weise an etwas heranzukommen, wie ihr wißt. Ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen, habe mein Ziel auf meinen
     eigenen Füßen erreicht. Wahrscheinlich hätte ich es mir selbst nicht zugetraut, doch andererseits – seht |14| ihr – ich hatte einfach das Gefühl, ich müßte dorthin, unbedingt. Und daher behelligte ich sie. Die Männer sagten: ›Mein lieber
     Junge‹ und taten nichts. Daraufhin – glaubt ihr es?– versuchte ich es bei den Frauen. Ich, Charlie Marlow, schickte Frauen
     vor – damit ich eine Stelle bekam! Grundgütiger! Aber, seht ihr, das Verlangen trieb mich. Ich hatte eine Tante, eine liebe
     schwärmerische Seele. Sie schrieb: ›Es macht mir große Freude. Ich werde gerne alles, alles für dich tun. Eine wunderbare
     Idee. Ich kenne die Frau einer sehr hohen Persönlichkeit in der Verwaltung und außerdem

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