HERZ HINTER DORNEN
spürte er nur eine befremdliche Regung, die sich ein wenig anfühlte, als wäre ihm die eigene Brust zu eng zum Atmen geworden.
»Ihr habt gesagt, ich soll essen, und ich tue es«, erklärte sie mit sanfter Stimme.
Sie wartete auf einen neuerlichen Ausbruch, aber sie entdeckte zu ihrer Überraschung, dass sie den wütenden Riesen mit dieser Sanftmut wirkungsvoller treffen konnte als mit jedem Pfeil. Sprachlos starrte er sie an, und im Gestrüpp seines Bartes konnte sie den offen stehenden Mund erahnen. Dann verengten sich seine Augen misstrauisch. »Was hast du vor? Weshalb dieser plötzliche Sinneswandel? Was führst du im Schilde?«
»Was sollte ich im Schilde führen? Ich bin in Eurer Gewalt, aber ich habe Hunger«, entgegnete sie schlicht und erntete einen gälischen Fluch, den sie glücklicherweise nicht verstand.
»Nehmt!«
Diese Stimme gehörte MacDonald, der neben ihnen wieder aus dem Gebüsch auftauchte und ihr ein Stück Käse reichte. Nach mehreren Tagen im Proviantbeutel sah es nicht mehr besonders appetitlich aus, aber dieses Mal überwand Roselynne ihren Abscheu. Sie hatte keine andere Wahl. Sie musste essen, damit das winzige Fünkchen Leben in ihr zur Flamme werden konnte.
»Ich habe ein paar Schlingen gelegt«, erklärte der junge Schotte ungefragt und legte trockenes Reisig auf die rauchende Glut des Feuers. »Vielleicht verirrt sich ja bis morgen ein Hase oder ein Wiesel in meine Fallen, dann kann ich Euch ein wenig frisches Fleisch braten.«
»Danke«, antwortete Roselynne mit jenem sanften Ernst, den sie mit einem Male an den Tag legte. »Das ist sehr freundlich von Euch.«
»Freundlich«, schnaubte der Graf verächtlich und bedachte seinen Gefährten mit einem gefährlichen Blick. »Du musst dich nicht bedanken. Er tut, was sich gehört, für die Braut seines Kriegsherrn.«
Roselynne lächelte in das finstere Gesicht. Ihre Augen funkelten noch intensiver. Die Braut seines Kriegsherrn. Mit einem Male bedeutete der unliebsame Titel etwas ganz anderes für sie. Der Graf würde keine Zeit verlieren, sie in sein Bett zu nehmen, sobald sie Schottland erreichten. Sie würde bluten, wenn alles an ihm so riesig war wie seine Gestalt und seine Hände und schon deswegen würde er das Kind in ihrem Leib für das seine halten. Er war ein Barbar, ein Wilder, aber nichtsdestotrotz für seinen König ein wichtiger Mann, ein Kriegsherr, wie er es gesagt hatte. Ein Mann von Macht und Einfluss, der einen Erben haben wollte. Einen Erben, den sie ihm schenken konnte und den sie lieben durfte, ohne dass er Verdacht schöpfte.
Das Lächeln entwaffnete Robert Duncan vollends. Noch nie hatte sie ihm ein echtes Lächeln gegönnt, das ihm allein gehörte. Der bestrickende Reiz dieses Geschenks machte ihn wehrlos. Röte stieg in seine Stirn und er stieß einen lästerlichen Fluch aus.
Roselynnes Lächeln verschwand bei seinen Worten. Sie verbarg ihren Triumph unter flink gesenkten Wimpern. Vielleicht war er ja gar nicht so schrecklich, wie sie gefürchtet hatte. Schließlich wusste sie von ihrem Vater, dass polternde Männer unter diesem Lärm nur allzu oft die eigene Unsicherheit verbargen. Sie würde schon noch herausfinden, ob das bei dem Schotten auch der Fall war.
Sie trank den letzten Schluck Wasser, bevor sie sich so nahe wie möglich neben dem Feuer auf ihre Decke legte. Es war ein hartes Lager, nur von wenigen zusammengescharrten Blättern gepolstert, aber in ihrer Müdigkeit spürte sie die Unbilden nicht. Sie dankte dem Schicksal einmal mehr dafür, dass sie sich am Morgen ihrer Entführung aus lauter Unsicherheit und Heimweh in die schlichten, aber praktischen Gewänder ihrer Heimat gehüllt hatte. Der dichte, schwere Umhang war in diesen Nächten ein Segen, und wenn sie das vertraute Kratzen auf ihrer Wange spürte, fiel es ihr leicht, die Augen zu schließen und von Hawkstone zu träumen.
Trotz aller Unbequemlichkeiten fiel sie denn auch auf der Stelle in einen tiefen, erschöpften Schlummer. Sie bot beiden Schotten das entspannte Gesicht eines friedlichen Kindes. Ein wenig schmutzig, von wirren Haarsträhnen umgeben, aber gleichwohl von unschuldiger, sinnverwirrender Schönheit.
»Was hast du gesagt, dass sie plötzlich ihre Krallen eingezogen hat?«, forschte MacDonald neugierig, aber mit leiser Stimme.
»Nichts«, schnaubte der Graf unwillig. »Weiß der Teufel, was in diesem Mädchen vorgeht. Es schließt die Augen, hört in sich hinein, dann sieht es einen an und ist wie verwandelt. Man
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