HERZ HINTER DORNEN
davon ab. Das war nicht der Mann, der sie in seinen Armen gehalten und geliebt hatte. Vor ihr stand ein Fremder.
»Was ... was ist geschehen?«, wisperte sie erstickt und schützte ihre geblendeten Augen mit der Handfläche vor dem Licht.
Erst jetzt senkte er die Laterne, und der Schein beleuchtete ein Stück des Bodens. Er stand in diesem Kreis, breitbeinig, die Reiterstiefel wuchsen vor ihr in die Höhe, ehe sie sich mit dem Rest seiner Person im Dunkel verloren, sodass sie sich nur an seine Worte halten konnte. An Worte, die wie Eisregen auf sie niederprasselten.
»Ich habe mir die Freiheit genommen, Euch aus der Umarmung Eures schottischen Galans zu befreien«, sagte der Normanne, als handelte es sich dabei um einen Frühlingsspaziergang. »Kann es sein, dass Euch diese Wendung der Dinge etwa missfällt?«
»Nein! Nein ... nein.« Das Letzte war nur ein Hauch, denn Roselynne spürte eine so unverkennbare Welle von tödlicher Abneigung, dass sie unwillkürlich vor ihm zurückwich. »Warum sagt Ihr so etwas? Ihr wisst, dass es nicht so ist. Ich bin ... ich habe nur ...« Sie brach ab, als ihr bewusst wurde, dass sie keine Worte fand.
Sie rang die Hände und stellte dabei fest, dass der schwere Rubin verschwunden war. Hatte sie ihn verloren oder ...?
Der normannische Ritter sah sowohl die Geste wie den fragenden Blick.
»Ich habe das Kleinod wieder an mich genommen«, sagte er kalt. »Ich hätte es nie fortgeben sollen. Ich hätte einiges nicht tun sollen, aber es ist zu spät, etwas daran zu ändern.«
»Wo ... wo sind wir?« Roselynne kam sich unter den bedrückenden Gewölben wie in einer Gruft vor.
»Unter den Ruinen eines verlassenen Klosters. Eure neuen Freunde, die Schotten, scheinen es bei einem Raubzug im vergangenen Jahr ebenso in Schutt und Asche gelegt zu haben wie das dazu gehörige Dorf.«
Roselynne schluckte erschrocken, es hörte sich an, als machte er ihr diesen Überfall zum Vorwurf. »Meint Ihr nicht, dass Duncan und seine Männer überall nach uns suchen werden?«
»Mit Sicherheit«, bestätigte er ihre Ängste gelassen. »Aber nicht hier. Wir sind ein tüchtiges Stück nach Westen geritten, nachdem wir uns Eurer Person bemächtigt hatten. Sie können nicht ahnen, dass Ihr Hilfe gehabt habt. Ihrer Meinung nach müsst Ihr Euch in Luft aufgelöst haben. Es wird zu Eurer Spezialität. In Winchester denken sie dasselbe von Euch.«
»Ihr habt nicht die Waffen mit ihnen gekreuzt?«, staunte Roselynne, aber für den Normannen hörte es sich an, als machte sie sich Sorgen um den riesigen Schotten, den sie in ihr unbeständiges Herz geschlossen hatte, wie er mit eigenen Augen gesehen hatte.
»Warum sollten wir?«, blieb er bei seiner herausfordernden Art, mit Gegenfragen zu antworten.
Schon sein Tonfall war eine Beleidigung und Roselynne brauste trotz aller Ratlosigkeit und Verwirrung deswegen auf. »Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu reden, Seigneur! Was werft Ihr mir vor?«
»Euch? Nichts. Mir selbst? Vieles. Ihr seid nicht viel besser als Eure hochwohlgeborene Schwester, die schöne Baronin von Aylesbury. Eine Frau und eine Lügnerin. Und nun haltet Euch ruhig. Wir werden ein paar Tage hier abwarten, bis die Schotten die Geduld verlieren, nach Euch zu suchen. Dann bringe ich Euch nach Winchester zurück. Ich kann die Stunde kaum erwarten, da sich unsere Wege endgültig trennen, Lady!«
Die verächtliche Rede traf Roselynne, die das Haupt gesenkt hatte. Sie hatte nicht gewusst, wie sie ihm begegnen sollte, nach allem, was zwischen ihnen gewesen war. Aber keine noch so kleine Regung hatte sie davor gewarnt, dass er sie verachten würde. Was, bei allen Heiligen, warf er ihr nur vor? Dass sie so arglistig entführt worden war? Wie hätte sie das verhindern sollen?
»Ich habe Euch keinen Grund gegeben, so mit mir zu sprechen, Seigneur«, raffte sie die kläglichen Reste ihrer Würde zusammen.
Sie spürte mehr, als sie es sah, dass er sich zu ihr niederbeugte. »Ich habe Euch gesehen, Lady! Gestern Abend in den Armen des Schotten. Ihr habt ihn geherzt und geküsst, und es hatte mehr als nur den Anschein, dass Ihr ihm wohl gesonnen seid. Genügt das als Grund, Mylady? Ihr habt mich zum Narren gehalten und Euch als würdige Nachfolgerin Eurer Schwester gezeigt. Aber ich bin nicht gern ein Narr und zweimal schon gar nicht!«
Roselynne rang nach Luft, sie schwankte unter der Wucht seiner Vorwürfe und der Erkenntnis, dass sie keine Silbe davon entkräften konnte. Sie wusste, wie die Szene
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