Herz im Spiel
Schwäche gehegt, obwohl er in manchen Dingen einfach unverbesserlich war.
„James bringt Ihr Gepäck nach oben, Mr Desmond. Vielleicht möchten Sie zu ihm gehen, um das Auspacken zu beaufsichtigen?“, schlug sie vor.
„Ja, natürlich“, antwortete Desmond.
„Um sieben wird gegessen“, setzte sie hinzu und folgte ihm zur Tür, wobei sie fast den Eindruck erweckte, ihn aus dem Zimmer zu scheuchen. „Ich war leider nicht sicher, wann Sie eintreffen würden, daher hatte ich Mrs Rawlins angewiesen, etwas Leichtes zu richten. Jetzt werde ich ihr Bescheid geben, dass Sie beide zum Dinner kommen. Ich bin sicher, sie wird noch etwas aufsetzen wollen, vielleicht ein paar Kartoffeln mehr und noch ein Kotelett.“
Den Hausherrn hatte die Wirtschafterin aus dem Zimmer komplimentiert, doch Marianne stand immer noch wie erstarrt vor den Bücherregalen.
Einen Monat. Einen schrecklichen Monat lang. Und sie saßen hier beide fest.
Plötzlich hatte sie Angst, Desmond würde von Neuem hereinkommen. Sie suchte die Bücher und Papiere, die sie aus der Akademie mitgebracht hatte, zusammen und verließ eilig den Raum. Für den Rest des Tages verbarrikadierte sie sich hinter ihrer Tür und wurde das Gefühl nicht los, einer Belagerung ausgesetzt zu sein. Allerdings klopfte nur Alice leise, als der Nachmittag der Abenddämmerung wich.
„Miss Marianne? Mrs River schickt mich, um Sie daran zu erinnern, dass heute früh zu Abend gegessen wird.“
„Wie spät ist es denn?“, rief Marianne durch die geschlossene Tür, ohne sie zu öffnen oder auch nur von dem Stuhl vor ihrem kleinen Schreibtisch aufzustehen.
„Viertel nach sechs. Um sieben gibt es Abendessen.“
„Es ist gut“, antwortete Marianne. „Danke, Alice.“
„Sehr wohl, Miss.“ Ein kurzes Schweigen folgte, während dessen das Dienstmädchen sich unsicher von der verschlossenen Tür abwandte und sich dann wieder umdrehte. „Miss Marianne? Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?“, fragte sie.
Endlich wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet, und Marianne sah lächelnd zu ihr heraus. „Nein, vielen Dank, Alice. Sie können Mrs River mitteilen, dass ich mich umziehe und gleich nach unten komme.“
„Sehr wohl.“
Als Marianne aus ihrem Zimmer kam, schien Alices vage Ahnung begründet. Die Wangen der jungen Dame waren erhitzt und glühten in ihrem ansonsten bleichen Gesicht wie zwei scharlachrote Flecken. Ihr Haar war im Hinterkopf festgesteckt, doch während sie sich eilig herrichtete, waren Locken und Strähnchen herausgerutscht und fielen jetzt auf ihren schweißfeuchten Hals. Ihre dunklen Augen glänzten und waren durch die nervöse Anspannung weit aufgerissen.
„Ist Mr Desmond schon unten?“, erkundigte Marianne sich.
„Ich glaube nicht“, meinte Mrs River.
Marianne nickte und ging zerstreut an der Haushälterin vorbei. „Ich werde im Speisezimmer warten“, sagte sie.
Wenig später kam Desmond dieselbe Treppe herunter. „Ich warte im Esszimmer auf Miss Trenton“, erklärte er.
„Miss Marianne ist bereits dort“, teilte Alice ihm mit.
Desmond blieb wie angewurzelt stehen. Er blickte über die Schulter, als überlege er, wieder auf sein Zimmer zu gehen, doch dann wandte er sich beinahe widerwillig von Neuem den Türen des Speisezimmers zu. „In diesem Fall können Sie das Essen auftragen, sobald es fertig ist“, meinte er.
Als er die Tür öffnete, saß Marianne mit im Schoß gefalteten Händen an ihrem Platz. Sie beobachtete sein Eintreten aus fiebrig glänzenden Augen.
„‚Mir, edle Freundin, kannst du niemals alt erscheinen. Denn wie du warst, als einst dein Auge ich erblickt. So scheint noch heute deine Schönheit mir‘“, zitierte er, als er sie sah. Es kam ihm so spontan über die Lippen, dass er einen Augenblick lang nicht sicher war, ob er die Verse nicht selbst in diesem Moment gedichtet hatte. Bis Marianne reagierte, war ihm nicht einmal klar, dass er sie laut ausgesprochen hatte.
„Shakespeare“, meinte sie. „Aus einem seiner Stücke?“
„Ein Sonett, glaube ich.“
„Natürlich.“
Mit einiger Mühe begab er sich an seinen Platz am Kopfende des Tisches. „Ich habe Anweisung gegeben, das Dinner sofort aufzutragen“, erklärte er und setzte sich, während er gleichzeitig seine Serviette ausschüttelte und auf seinem Schoß ausbreitete. „Sicher haben Sie großen Hunger.“
„Ich glaube eher, dass Ihretwegen das Dinner so früh angesetzt und das Menü für Sie geplant wurde“, meinte
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