Herz in Not
Bewunderung des Adels genoss, der neidisch darüber grü-
belte, auf welche Weise der junge Erbe das Courtenay-Vermögen in so erstaunlich kurzer Zeit hatte wiederherstellen können.
Heute, da Geld für David keine Rolle mehr spielte, liebte er es, die Früchte seiner Arbeit zu genießen. Da er den Ruf besaß, großzügig zu sein, war er ständiges Ziel von Frauen, die sich - notgedrungen oder freiwillig - in der Gesellschaft von Männern aufhielten. Kurzum, David Hardinge führte ein angenehmes, aber liederliches Leben und beabsichtigte nicht, dies zu ändern - niemals!
Jahrelang hatte David Victoria Lorrimer aus seinem Gedächtnis verbannt. Unwillkürlich musste er lachen, als er daran dachte, dass sechs Monate lang seine Gedanken bei Tag und Nacht um sie gekreist waren. Gerade mal dreiundzwanzig und trotz des lasterhaften Elternhauses voller jugendlicher Ideale, hatte er um diese bezaubernde unschuldige Schönheit geworben, wollte sie heiraten und selbst eine Familie gründen.
Jacob blickte ihn strafend an. „Beerdigungen sind eine ernste Angelegenheit.“
Jacob!“ drohte David leise und sah dabei auf seine goldene Taschenuhr. „Es bleiben uns noch fünf Minuten, um die Korrespondenz in der vorgesehenen Zeit zu erledigen ... dann werden Sie sich leider nach einer anderen Anstellung umsehen müssen.“ Abrupt nahm er die Füße vom Schreibtisch, stand auf und streckte sich. Langsam ging er zum Fenster und schaute hinunter auf den Beauchamp Place mit seinen vornehmen Häusern.
Richard Du Quesne, in burgunderrotem Mantel mit goldener Tressenverschnürung, kam langsam über den Platz geschlendert. Du Quesne war Davids bester Freund - ein echter Kamerad, mit ähnlichen Gewohnheiten, gleichen Interessen und Lastern. Amüsiert verfolgte David, wie Richard versuchte, seine Mätresse, die neben ihm ging, loszuwerden.
Richard blickte zum Fenster von Davids Arbeitszimmer hinauf und schnitt eine gelangweilte Grimasse. Als Erwiderung zuckte David übertrieben mitleidig mit den Schultern, rückte seine Seidenkrawatte zurecht und deutete mit dem Daumen mehrfach auf die Straße. Heute Morgen konnte er die Countess, diese Frau, die ihren mittellosen Ehemann ständig zum Hahnrei machte, nicht ertragen. Roberta Stewart schien zu ahnen, dass ihre Beziehung zu Richard zu Ende ging, und hielt bereits Ausschau nach einem ähnlich begüterten Ersatz. David Hardinge schien ganz oben auf ihrer Liste zu stehen, doch der empfand ihre permanen-
ten theatralischen Verführungsversuche eher als abschreckend.
Seit kurzem hatte er an jedem Ende der Stadt je eine junge Mätresse installiert: Ob er den Abend in Cheapside oder in Mayfair beendete, immer wenn ihn danach verlangte, hatte er einen willfährigen Körper zur Stelle. Wenn aber weder Annabelle Sharpes samtige Haut und ihr schweres braunes Haar noch Suzanna Philips’ rosiger Teint und ihre lustigen blonden Locken ihn reizten, dann gab er sich anderen sinnlichen Verlockungen hin. Deren gab es genug. Ehrgeizige Näherinnen, verarmte Witwen, gelangweilte junge Adelige strichen ständig schäkernd um ihn herum. David Hardinge war beliebt und konnte wählerisch sein - aber er war vorsichtig. Keinesfalls wollte er so grässlich dahinsiechen wie sein Vater.
Wieder musste David an Victoria Hart denken - an ihr blasses schmales Gesicht, ihre grauen Augen, ihr seidiges schwarzes Haar. Mit leichter Selbstironie stellte er fest, dass er sich selbst nach sieben Jahren noch an ihre zarte Schönheit erinnerte. Ach was, beruhigte er sich, in ihrem ehelichen Glück ist sie sicherlich zur fetten Matrone geworden, an deren reizlosen Röcken eine lärmende Kinderschar hängt. Was soll’s, dachte er, während er sich langsam vom Fenster abwandte. Gleich wollte er wie üblich mit dem Freund einen Spaziergang zu Watier’s machen, eine Runde Karten spielen, würfeln - am Nachmittag vielleicht wieder einen Faustkampf in Haymarket ansehen. Doch bis dahin war eiserne Disziplin geboten. Die Arbeit mit seinem Sekretär war noch nicht beendet.
David, der in finanziell sehr beengten Verhältnissen aufgewachsen war, wusste es zu schätzen, dass er heute mehr besaß, als er jemals ausgeben konnte. Aber im Gegensatz zu vielen seiner Standesgenossen waren ihm seine Geschäfte wichtig. Er verfolgte jede einzelne Transaktion und stand in dem Ruf, ein gerechter, aber strenger Arbeitgeber zu sein. Dankbar blickte David zu dem alten Gefolgsmann, der gute und böse Tage mit den Courtenays erlebt hatte. Jacob
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