Herz und Fuß
sowieso.«
Ich küsste mich zurück in einen Zustand, in dem es nur schnelle Wünsche und laute Erlösung gab, und wusste nicht einmal, mit wem ich jetzt eigentlich schlief, denn der Duft von Irenes Blumen und ihr Anblick erfüllten alle meine Sinne.
Ich fuhr Judith am Abend nach Hause und wir tauschten in stillem Einverständnis nur einen kurzen Kuss, als sie den Wagen verließ. Keine Telefonnummern, keine E-Mail-Adressen, keine Facebookseiten.
Baby konnte sich am Telefon gar nicht beruhigen. »Du hattest einen richtigen One-Night-Stand. Wahnsinn!«
»Muss ich deine Begeisterung verstehen?« Ich suchte zum neunzehnten Mal eine neue Vase für Irenes Blumen, aber keine wollte ihnen gerecht werden, und ich war versucht, zum Bahnhof zu fahren, um zu sehen, ob der Blumenladen mit den Designervasen an Gleis sieben am Sonntagabend geöffnet hatte.
»Das ist ein bedeutender Moment im Leben einer jungen Lesbe. Es ist so schön zu sehen, wenn die Kinder groß werden. Ich hätte ein Foto von euch beiden auf der Couch machen sollen. Die Jahre gehen so schnell dahin.« Sie schniefte theatralisch. Ich hörte ihr nur mit einem viertel Ohr zu.
ErzEngel hatte doch auch noch ein paar Vasen im Keller. Ich schlich die Treppe hinab.
»Hat es dir denn gefallen, dein wildes Leben?« Baby wusste nichts von meinem Vasenproblem.
Ich überlegte. »Ja. Die Teile, an die ich mich erinnere, haben mir gut gefallen. Sehr gut. Bis zu dem Augenblick, in dem Irene in der Tür stand.«
»Wie bitte?« Baby verschluckte sich an irgendetwas, das sie bis jetzt gekaut hatte, und hustete laut in den Apparat.
»Irene ist heute Morgen mit einem Blumenstrauß vorbeigekommen und wollte mich wecken. Meine Mutter hatte die Haustür wieder einmal offen gelassen und so stand sie oben vor meiner Tür.« Zwischen all den vielen, schönen und schlimmen Sachen, die ich in den letzten vierundzwanzig Stunden gefühlt hatte, stach dieser Gedanke heraus, weil er sich anfühlte, als würde mir jemand das Zwerchfell mit einer stumpfen Stricknadel tätowieren.
»Und so hat sie dich also wirklich geweckt?«
Falls Baby nicht genug Fantasie hatte, um sich diese Situation vorzustellen, wollte ich ihr gerne helfen.
»Ja. Und sie hat Judith geweckt. Judith, die spärlich bekleidet aus meinem Schlafzimmer kam und einen großen Knutschfleck auf dem Hals hatte. Ich habe auch einen, aber den habe ich erst später im Spiegel gesehen.« Auf meinem Zwerchfell war jetzt schon ein großer Teil des Gemäldes zu sehen, das die stumpfe Nadel hineinstach. Ich vermutete, dass es der Schrei von Edvard Munch werden würde.
»Verstehe. Und da stand dann deine platonische Fantasie vor deiner erotischen Wirklichkeit und die beiden passten nicht gut zusammen. Die eine nur Körper, die andere nur Geist. Ein wunderbarer Stoff für eine Kurzgeschichte, aber hier in der Realität muss ich einfach fragen, warum Irene nicht sehen soll, mit wem du schläfst? Du kennst doch Markus auch.«
Irene in leidenschaftlicher Umarmung mit Markus. Eine fremde Hand, die über diese weiche Haut strich, ein fremder Mund, der in ihren schönen Hals biss. Der Schrei tätowierte sich von dieser Vorstellung angestachelt wie von selbst. Ich schwieg.
»Aber es ist dir jetzt endlich aufgefallen, oder?«
Die schmale Kristallvase in meiner Hand hatte fast weibliche Formen und ich strich ihr sanft über die schön geschwungene Vasentaille.
»Was ist mir aufgefallen?« Wenn sie es sagte, musste ich es nicht sagen.
»Dass du schlimm verliebt bist?«
»Ich kenne Judith doch kaum.« Auf meinen Lippen lag die Berührung von Irenes Zeigefinger wie ein brennendes Mal.
»Du weißt genau, dass ich nicht von Judith gesprochen habe.«
Ich legte meinen Zeigefinger auf meinen Mund und berührte ihre Berührung.
»Ich hätte es Irene fast gesagt.«
»Perfekter Moment dafür. Wo sie gerade gut sehen konnte, dass deine Gefühle für Frauen auch eine ungeahnte körperliche Komponente haben.«
»Du bist nicht lustig.«
»Vielleicht nicht, aber ich bin ehrlich.«
»Das ist mir ehrlich gesagt zu viel heute.« Die bunten Blumen passten perfekt in die Kristallvase und ich trug sie vorsichtig ins Wohnzimmer und stellte sie dort auf die Fensterbank.
»Ruf sie an und frag sie, warum sie gegangen ist.« Babys letzte Worte hallten noch lange, nachdem ich aufgelegt hatte, in meinem Kopf herum. In meinem Kopf hallte
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