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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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unterhielten sich laut. Ich lächelte ihnen zu, sie ignorierten mich, gingen aber schneller. Mein Herz klopfte hart und unregelmäßig, als ich einen Fuß auf die untere der beiden Stufen setzte, die in das alte Haus führten. Ich schaute mich nach beiden Seiten um, wie man das in Krimis tat. Die Kinder waren um eine Ecke verschwunden, ein Auto fuhr auf der anderen Seite vorbei, sonst war die Straße leer. Ich drückte leicht gegen die dreckige Haustür, die schief in den Angeln hing, und trat in den Flur. Drinnen war es dunkel, nur aus einem schmalen Fenster auf der halben Treppe fiel etwas Licht herab. Es roch nach altem Essen, nassen Socken und etwas Vergorenem. Ich konnte einen zu lauten Fernseher und Babygeschrei in den oberen Stockwerken hören und ging vorsichtig weiter. An der linken Wand lehnten Fahrräder, ein Kinderwagen und ein Roller. Die Rechte war von schiefen Briefkästen bedeckt, deren Namensschilder immer und immer wieder mit grobem Klebeband überklebt worden waren. Viele der Namen hatten einen fremden Klang und wer eine Seminararbeit über die Zuwanderungsgeschichte des Ruhrgebiets schreiben wollte, brauchte hier nur ein Teppichmesser und konnte sich Schicht für Schicht in die Vergangenheit schälen. Aus den Briefschlitzen quollen bunte Prospekte und der Boden war mit bunten Druckerzeugnissen übersät. Ich war versucht, das grellrote Angebotsblatt einer großen Elektromarktkette aufzuheben und nach Angeboten im Bereich Tiefkühlung zu suchen, ließ es aber sein.
     
    Eine ausgetretene Treppe führte am Ende des Flurs in die oberen Etagen, aber die Tür mit dem großen Fenster kurz vor der Treppe stand offen und da ich keine Schritte auf den Stufen hören konnte, waren die beiden wohl dorthinein verschwunden. Ich hielt neben einem leuchtend türkisen Kinderrad inne, das in der düsteren Atmosphäre unheimlich wirkte. Wollte ich den verschwiegenen alten Damen wirklich folgen? War das sicher? Jetzt hustete ein Mann, weit oben, bellend und krank. Was sollte ich nur tun? Ich traute mich nicht, mich mit einer Hand an die Wand zu lehnen, obwohl mir schwindelig war. Was, wenn das, was ich befürchtete, wahr wurde?
     
    »Charlotte?« Mein Name fuhr mir in die Gedanken und setzte mich in Bewegung. Ich ging vorsichtig durch die offene Tür und trat in einen kleinen Flur, der von billigem Teppichboden bedeckt war. Die Stimme war nicht aus der winzigen Küche gekommen, in der außer einem Herd nur ein Tisch mit zwei Stühlen stand, und so ging ich daran vorbei. Am Ende des kurzen Gangs fand ich das Wohnzimmer, das diesen Namen nicht verdiente. Sicherlich hatten die Architekten sich vor vielen Jahren die Einrichtung der glücklichen Werktätigen, die sich in diesem Zimmer von der harten Arbeit erholen sollten, anders vorgestellt. Oder sie hatten sich überhaupt eine Einrichtung vorgestellt, denn der Raum war leer bis auf einen Sessel und einen kleinen Fernseher. An den Wänden hingen keine Bilder. Es gab keine Zimmerpflanzen auf der Bank des großen Fensters zum Hof, vor dem nur eine alte Gardine hing, die den Kampf gegen den Gilb vor vielen Jahren verloren hatte. Eine schmale Tür direkt neben dem Fenster führte in den Innenhof. Rose-Lotte Stein und meine Mutter warteten vor dieser Tür auf mich. Ruhig und entschlossen die eine, fahrig und unsicher, die andere. Hätte ich noch irgendwo in einer Ecke ein Spinnrad entdeckt, wäre ich sicher gewesen, mich zwei der mythischen Parzen gegenüberzusehen und gleich zu erfahren, dass mein Schicksalsfaden in den nächsten Minuten seinem natürlichen Ende entgegenlief. Ich will nicht sterben, ich will Irene wiedersehen, dachte ich und trat einen Schritt zurück.
     
    »Sieh uns nicht so an.« ErzEngel bedachte mich mit einem strafenden Blick. »Spar dir deinen Schrecken auf.« In ihren Augen lag kein Funken von Wahnsinn, nur eine tiefe Trauer und dieser starke Wille, den ich kannte. Sie lag allerdings falsch mit der Annahme, dass ich mir meinen Schrecken einteilen konnte, er erfüllte mich schon und ließ sich nicht mehr portionieren.
     
    Die beiden traten durch die Tür auf den Hof und gingen an einer verrosteten Teppichstange vorbei zu einem großen Holzschuppen, der der Wohnung direkt gegenüber lag. Ich folgte ihnen. Rose-Lotte griff sich an den Hals und löste einen Schlüssel von einer Kette, die mir zum ersten Mal auffiel. Sie schloss das dicke Vorhängeschloss langsam auf und der Schlüssel machte dabei ein hässliches Geräusch. Oft schien er sich nicht in

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