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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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seinem Schloss zu drehen. Ich zögerte wieder und ErzEngel zog mich an der Hand hinter sich her in den dämmrigen Schuppen. Die schwere Tür fiel hinter uns zu. Als die Glühbirne an der Decke hell aufstrahlte, musste ich für einen Moment die Augen schützen. Dann sah ich mich um. In dem großen Raum gab es eine riesige, alte Werkbank und Werkzeug lag und stand überall herum. Es roch muffig und unzählige Spinnengenerationen hatten ungestört und kunstvoll ihre Fäden von Ecke zu Ecke gezogen. Ebenso viele Generationen von Fliegen und Käfern waren stumm in den Netzen verstorben. In der Mitte unter der Decke baumelten die Seile eines kleinen Flaschenzuges. Zwei alte Campingstühle mit verblichenen Sitzflächen standen an einem wackeligen Campingtisch. Die Rückwand der Hütte war mit Postern spärlich bekleideter Frauen geschmückt. Miss Januar. Miss März. Miss Juni. Februar, April und Mai fehlten.
     
    Unter den Postern standen zwei große Kühltruhen. Die linke war offen und ihr großer Deckel war gegen die Wand geklappt. Sein gummierter Rand berührte die neckisch gespreizten Beine von Miss Juni. Die rechte war geschlossen und auf ihrem Deckel lagen zwei schwere Pflastersteine.
     
    An der rechten Wand lehnte einsam eine schwere Axt an einer Kreissäge.
     
    In ihrer Nähe hatten die Spinnen auf Netze verzichtet.
     

Ich schaute auf die beiden großen Kühltruhen,
     
    auf Miss Januar, auf die Axt und auf meine Mutter. Sag, dass das nicht wahr ist, flehte ich stumm.
     
    »Hörst du, wie still es ist? Es summt nichts mehr.« Sie sah mich an. »Die erste Truhe ist an dem Tag ausgefallen, an dem ich dich allein lassen musste.« Sie machte eine Pause und ich sah ihr an, dass ihr das sehr leidtat. »Die zweite heute Morgen. Sie sind schon sehr alt.«
     
    Nein, dachte ich, nein. Und weigerte mich, die Realität, die vor mir lag anzunehmen. Es musste auch noch eine andere geben. Eine, in der meine Mutter nicht meine Verzweiflung riskiert hatte, um einer Freundin bei einem Verbrechen zu helfen. Wut zog sich wie roter Grenadinesirup durch meinen Gefühlscocktail. »Und jetzt werden deiner Freundin die Backzutaten schlecht?«
     
    ErzEngel seufzte und legte der zitternden Rose-Lotte einen Arm um die Schultern. Die sah mich an und gab wieder ein paar Laute von sich, die ich diesmal aber gut verstand. »Sie wird es nicht verstehen«, sagte sie und weinte verzweifelt.
     
    »Doch, das wird sie. Sie ist meine Tochter, glaub mir, ich kenne sie, sie ist nur manchmal etwas langsam.« Der Blick, den mir meine Mutter jetzt zuwarf, umfasste die letzten fünfunddreißig Jahre, meine Entscheidung für SIE, meine Gefühle für Irene, mein ganzes Leben und diesen Augenblick. Und er brachte mich zurück in eine Realität, in der ich ihrem Urteil absolut vertraute. Ich traf eine Entscheidung. »Sie sind da drinnen?«
     
    Rose-Lotte nickte.
     
    »Und sie tauen auf?«
     
    Beide nickten synchron.
     
    »Dann haben wir wohl wirklich ein Problem und nicht viel Zeit. Könntet ihr mich trotzdem kurz wissen lassen, was passiert ist?« Ich stand kurz davor, einer backenden Doppelmörderin und ihrer scheindementen Komplizin Beihilfe zu leisten und ich fand, dass trotz einsetzenden Tauwetters in dieser Situation ein paar erklärende Worte nicht übertrieben waren.
     
    »Das ist meine Tochter! Siehst du, Rose-Lotte, du hast dich in die Richtige verliebt.«
     
    Und meine Realität sauste wieder fort. Rose-Lotte Stein wurde unglaublich rot, verschwand hinter meiner Mutter und versteckte ihr Gesicht in deren Halsbeuge. Dort murmelte sie etwas.
     
    »Doch, ich denke schon, dass sie das auch wissen sollte.«
     
    Ich war mir nicht sicher, ob ich das auch wissen wollte.
     
    »Fangt doch vielleicht mit dem Inhalt der Truhen an, oder?«
     
    ErzEngel löste Rose-Lotte aus ihrer Halsbeuge und besah sich eine kleine Wasserlache, die sich unter der rechten Truhe bildete. Tropfen für Tropfen fiel eine milchige Flüssigkeit hinein. Es konnte ja immerhin noch möglich sein, dass wir über eine große Menge Rahmspinat sprachen.
     
    »Kennst du jemanden, der sich mit so etwas auskennt?« Meine auskunftsunfreudige Mutter zeigte auf die Gefrierkombination.
     
    Mit so etwas?
     
    Mit Kühltruhen?
     
    Mit Mörderinnen?
     
    Mit Leichen?
     
    »Und den ich hierherholen könnte?« Ich ließ so viel Ironie wie möglich in meine Worte fließen. Miss Januar zwinkerte mir verständnisvoll zu. Miss März und Miss Juni hatten die Köpfe weit in den Nacken gelegt

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