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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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überhaupt kein Geld. Was nach einer gefühlten Ewigkeit fiel, war mein Blutdruck und das Wort Kühltruhe, es fiel und fiel und fiel schließlich mitten in meinem Denken auf grünen, fruchtbaren Boden. Grün.
     
    »Könntest du mir das noch etwas genauer erklären?« Die Übelkeit, die meine Speiseröhre hinaufkletterte, tat das schnell und behände. Ich schluckte einen kleinen, sauren Vorboten hinunter. Blutdruck runter, Verdauungssäfte rauf, Blutzucker runter, Adrenalin rauf, die regen Aufzugbewegungen in meinem Körper machten mich schwindelig. Kühltruhe. Grün.
     
    »Charlotte?« Meine Mutter machte einen Schritt in meine Richtung und schlug mir leicht auf die offensichtlich blassen Wangen. »Ich brauche dich!«
     
    »Ich bin da.« Ich suchte nach einem inneren Riemen, fand ein schmales Seil, das alt aber stabil wirkte, und riss mich daran.
     
    »Ich werde dir alles im Auto erklären, denn wir haben nicht viel Zeit. Das sind sehr alte Truhen und wir haben auf keinen Fall mehr als vierundzwanzig Stunden, bis die Kälte entwichen ist. Es soll heute noch mal richtig warm werden und für morgen ist auch ein sonniger Tag angesagt.«
     
    Ich ignorierte den Wetterbericht. »Du wirst es mir im Auto erklären?« Wie bei Irene war ich mir nicht sicher, ob ich das gedacht oder gesagt hatte. »Seit wann fährst du Auto?«
     
    ErzEngel zog die jammernde Rose-Lotte hoch und hinter sich her zur Tür. Ich hatte es wohl nicht gesagt, denn ich bekam keine Antwort.
     
    ErzEngel schnallte Rose-Lotte Stein so sorgfältig und gründlich auf dem Rücksitz fest, als wäre sie ein faltiges, aber hyperaktives Kleinkind. Sie murmelte ihr noch ein paar beruhigende Wort zu und stieg dann schnell neben mich in den Wagen.
     
    »Los!«
     
    Ich wollte nicht übermäßig kompliziert wirken, aber ich hatte keine Ahnung, wohin ich fahren sollte. Oder ob ich hier gerade den größten Fehler meines Lebens machte.
     
    »Nach Bruckhausen.«
     
    Ich ließ den Wagen an und setzte den Blinker, aber mein Fuß schwebte über dem Gaspedal und wollte es nicht treten.
     
    »Charlotte?«
     
    Ich sah in ErzEngels klare Augen. »Ja?«
     
    »Vertraust du mir?«
     
    Mit meinem Leben. Ich dachte und sagte es im selben schnellen Augenblick.
     
    »Dann fahr.«
     
    Ich fuhr.
     
    Bruckhausen war im Norden Duisburgs. Er war der Stadtteil gewordene Beweis unserer untergegangen Affäre mit Kohle und Stahl und lag seit Jahrzehnten mit Mann und Maus versunken unter einer dicken Staubschicht am Boden des Strukturwandels. Er war schmutzig, von alten Industrieanlagen durchzogen und wer hier wohnte, durfte vor Feinstaub keine Angst haben. Oder vor Depressionen.
     
    ErzEngel dirigierte mich, denn den Straßennamen, den sie genannt hatte, hatte ich noch nie gehört.
     
    »Woher kennst du diesen Ort? Du kannst nicht bis hierhin gehen.« Misstrauen und Verwirrung ließen meine Worte hässlicher und anklagender klingen, als ich sie gemeint hatte. Rose-Lotte stöhnte ängstlich auf und zerrte an ihrem Gurt.
     
    »Ich musste bis hierhin gehen. Und ich werde noch weiter gehen!«
     
    Da war wieder diese Entschlossenheit, die mich schon im Krankenhaus leicht irritiert hatte. Und ich hatte geglaubt, es ginge um meine Liebesleben. Ich suchte abwechselnd ErzEngels Blick und die Namen der Straßen auf den Schildern, aber die Augen wichen mir aus und die Straßenschilder waren schwer zu lesen. Rose-Lotte im Heck dagegen folgte meinem Blick mit weit aufgerissenen Augen. In ihrem Mundwinkel klebte ein feiner Speicheltropfen. Ich drehte den Rückspiegel so, dass ich sie nicht mehr sehen konnte. Die Straße hinter mir auch nicht, aber das war nicht mein größtes Problem.
     
    »Da ist es!« Wieder dieser fremde Ton in der Stimme meiner Mutter, der mich frösteln ließ.
     
    »Da ist was?« Ich stellte mich stur und wollte mehr als spärliche Erklärungen. Es konnte doch nicht sein, dass die beiden wirklich … dass Rose-Lotte …
     
    »Charlotte, halt einfach an.« ErzEngel löste ihren Gurt schon. Ich parkte den Wagen folgsam auf einem frisch gepflasterten Parkstreifen, dessen frischweiße Grenzlinien sich sichtlich für die graue Häuserzeile und für den alten Hochofen auf der gegenüberliegenden Seite schämten.
     
    ErzEngel half Rose-Lotte aus dem Auto und folgte ihr eilig in einen Hauseingang. Falls die beiden noch wussten, dass ich da war, ließen sie es sich nicht anmerken. Ich stieg aus. Zwei Schulkinder schleppten ihre bunten Tornister an mir vorbei und

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