Herzbesetzer (German Edition)
Männerhaushalt mit Dosenbier zum Frühstück, und einmal die Woche werden die Unterhosen gewendet.«
Anoki grinst nur schwach. Er zieht heftig an seiner Zigarette und lässt den Blick über die Hinterhöfe schweifen. »Ich will bei dir wohnen«, sagt er leise.
Mir werden die Knie weich, und in meinen Eingeweiden zieht etwas. Es dauert ein bisschen, bis ich mich gefangen habe und antworten kann. »Das geht doch nicht«, sage ich so sanft, wie ich kann. »Du musst doch zur Schule gehen. Und meine Wohnung ist viel zu klein für zwei.«
Anoki wendet sich zu mir um und sieht mich ernst an. »Ich kann genauso gut in Berlin zur Schule gehen. Und soviel ich weiß, gibt’s hier noch andere Wohnungen. Aber wenn du nicht willst …« Er zuckt die Achseln und dreht sich wieder um. Natürlich weiß ich, dass er alle Register zieht, und nicht mal besonders subtil. Aber – was soll ich machen? Es funktioniert trotzdem. Ich lege die Hand zwischen seine Schulterblätter und kraule ihn.
»Jetzt gucken wir erst mal, wie es weitergeht«, beschwöre ich Zuversicht herauf. »Du weißt doch genau, dass ich dich nicht im Stich lasse.«
Anoki seufzt zittrig, dann schenkt er mir ein wackliges Lächeln.
Ich weiß nicht, wie Judith das macht, aber jedes Mal, wenn sie etwas kocht, stopfe ich mich dermaßen damit voll, dass ich hinterher kaum noch Luft kriege. Auch jetzt hänge ich halb betäubt auf meinem Stuhl und wende meine gesamte Energie für die Verdauung auf. Anoki, der ungefähr die dreifache Menge verzehrt hat, wirkt dagegen noch recht lebhaft. Er geht zum Rauchen raus, dann verschwindet er mit Una in deren Zimmer. Sie hat sich offenbar entschlossen, Anoki zu bewundern, und bemüht sich nun, seine Aufmerksamkeit zu wecken. Allmählich scheint sie damit Erfolg zu haben – zumindest behandelt er sie nicht mehr wie Luft. Judith und ich bleiben am Esstisch sitzen.
»Hast du das eigentlich geregelt mit dieser komischen SMS?«, fragt sie und tut dabei ziemlich unbeteiligt.
»Ich hab nicht drauf reagiert«, erkläre ich wahrheitsgemäß. »Eigentlich will ich mit Janine nichts mehr zu tun haben. Wenn ich mich jetzt bei ihr melde, denkt sie vielleicht, das wäre nur ein Vorwand, um den Kontakt wieder aufzunehmen.«
Weil Judith immer noch so gespielt gleichgültig in der Gegend herumguckt, greife ich nach ihrer Hand. »Hör mal, du brauchst wirklich nicht eifersüchtig zu sein«, versichere ich ihr. »Egal was Anoki sagt, es war schon lange vorbei, als wir uns kennengelernt haben.«
Sie stützt den Kopf in ihre andere Hand und lächelt mich an, und das sieht wirklich süß aus.
Es ist später Nachmittag, als Anoki und ich den Heimweg antreten. Bereits im Auto sage ich: »Sobald wir zu Hause sind, will ich sehen, was du da auf dem Spielplatz gekauft hast.«
Er holt Luft, um zu antworten, aber ich lasse ihn nicht zu Wort kommen. »Und spar dir jegliche Ausrede!«, füge ich drohend hinzu. »Du weißt genau, dass ich mich nicht von dir verarschen lasse.«
Er macht ein paar halbherzige Versuche, sich aus der Affäre zu ziehen, merkt aber schnell, wie ernst es mir ist, und nachdem wir in meiner Wohnung angekommen sind, legt er das Tütchen auf den Tisch. Ich hatte die ganze Zeit ein ungutes Gefühl, und das verstärkt sich jetzt noch, denn das hier ist definitiv kein Dope, sondern ein weißes, klumpiges Pulver. Außerdem steht Anoki mit gesenktem Kopf vor mir und nicht mit seiner üblichen aufmüpfigen Protesthaltung.
Ich betrachte das Tütchen von allen Seiten, als könnte da irgendwo eine Liste der Inhaltsstoffe aufgedruckt sein, dann sage ich: »Ist das Kokain?« Ich bin kein Drogenexperte, aber im Botanischen Garten hab ich mal eine Ausstellung über pflanzliche Rauschmittel gesehen.
Anoki gibt keine Antwort und sieht mich nicht an. Sein unübersehbar schlechtes Gewissen ist der Grund, warum ich nicht völlig ausraste. Ich war auf Geschrei, Gezanke und möglicherweise ein paar therapeutische Ohrfeigen eingestellt, aber wenn er so ist, geht das irgendwie nicht. Stattdessen tut er mir leid. Ich erfasse instinktiv, dass er sich in einer psychischen Extremsituation befindet, für die ihm Cannabis und Alkohol nicht mehr ausreichend erscheinen, und dass er sich am liebsten so weit wie möglich aus der Realität hinauskatapultieren will. Dafür habe ich mehr Verständnis, als mir lieb ist.
Ich drücke ihn an mich, er zuckt erschrocken zurück.
»Kleiner Bruder«, murmele ich liebevoll in sein Ohr, »armer kleiner Bruder. Es tut mir
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