Herzbesetzer (German Edition)
nicht nur als faulen Trick, und dass ich sie darum bitte, etwas vorzuspielen, was sie sich tatsächlich sehnlich wünscht, trifft sie zutiefst.
Ich habe bestimmt nicht viele Talente, aber ich bin ein begnadeter Schmeichler. Darauf besinne ich mich jetzt und ziehe alle Register, um Judith zu besänftigen: Zärtlichkeiten, liebevolle Worte, Humor, noch mehr Zärtlichkeiten, Sex, Bewunderung, Komplimente, noch mehr Sex. Ich kriege sie rum. Irgendwann sagt sie: »Und wann sollen wir da im Jugendamt erscheinen?« Dafür bekommt sie noch einen ganz besonderen Extrakuss, der sie davon überzeugt, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hat.
Am nächsten Abend tauche ich noch mal überraschend bei ihr auf und umarme sie heftig. »Ich hab noch was vergessen«, flüstere ich geheimnisvoll in ihr Ohr.
»Ja, was denn? Soll ich Anoki jetzt noch adoptieren oder was?«, fragt sie zynisch.
Ich mache ein gekränktes Gesicht und sorge dafür, dass sie es bemerkt. Sofort rührt sich ihr Gewissen, und sie führt mich ins Wohnzimmer, wo Una inmitten eines frisch angefangenen Tausend-Teile-Puzzles auf dem Boden hockt.
»Hi, Una«, sage ich, aber sie hebt nur lässig die Hand, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Judith räuspert sich unbehaglich und fragt: »Apfelkuchen?«
Ich ziehe sie an mich und küsse ihren Haaransatz. »Heute nicht«, sage ich und sorge damit umgehend für zwei besorgt auf mich gerichtete Augenpaare. »Ich wollte … warte mal …« Ich krame in meiner Hosentasche und ziehe eine kleine Schachtel heraus. »Ähm, könnten wir uns vielleicht hinsetzen?«
Judith weist wortlos auf die Couch und setzt sich neben mich. »Also«, sage ich feierlich und öffne die Schachtel, in der zwei unterschiedlich große Weißgoldringe blitzen, der kleinere sogar mit einem winzigen Brillanten.
Una hat mir noch nie so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie in diesem triumphalen kleinen Augenblick, und Judiths Augen werden feucht. Ich nehme den kleineren Ring heraus und stecke ihn an ihren linken Ringfinger. »Der ist für dich. Und jetzt kannst du mir den anderen, äh, rüberschieben.«
Mit einem Laut, der halb Schluchzen, halb Kichern ist, nimmt Judith den größeren Ring und streift ihn vorsichtig über meinen Finger. Dann sieht sie mich erwartungsvoll an. Muss man die Braut jetzt küssen oder so? Wahrscheinlich.
»Ich hab dir doch gesagt, ich brauch eine Verlobte«, sage ich anschließend achselzuckend. »Tja – jetzt hast du eine«, strahlt Judith.
Anoki kriegt sich nicht wieder ein. »Du hast dich echt verlobt? Alter, bist du krank? So weit musst du ja nun wirklich nicht gehen, ey! Das nennt man Relativitätsverlust oder so ähnlich!«
»Nein, das nennt man Liebe, du Arschloch«, zische ich, »und außerdem hab ich das für dich getan, also komm mal klar, ja?«
»Was denn jetzt, hast du das aus Liebe getan oder für mich?«, fragt Anoki genüsslich provokativ. Ich weiß, welche Antwort er erhofft. Nach kurzem Zögern gebe ich klein bei. »Aus Liebe für dich, und jetzt halt die Klappe, sonst mach ich’s wieder rückgängig.« Das Einzige, was ich an dieser Verlobung bereue, ist, dass ich ihm davon erzählt habe. »Du bist ja ganz schön abgefuckt«, sagt Anoki mit der tief empfundenen Bewunderung eines Vorstadtganoven für einen Massenmörder. »Hätt ich dir echt nicht zugetraut.«
Ich seufze. »Jetzt hör doch mal auf mit dem Scheiß. Ich hab das nicht aus Berechnung gemacht.«
»Nee, klar!« Anoki lacht aus vollem Halse.
Im Nachhinein habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich unserer Verlobung keinen romantischeren Rahmen gegeben habe. Ich hätte Judith wenigstens zu einem Candlelight-Dinner einladen oder an irgendeinen exklusiven Ort führen können, was weiß ich, auf den Fernsehturm oder an den Wannsee oder so was. Sie in ihrer Wohnung beim Puzzeln zu überfallen und ihr einen Ring aufzudrängen war vielleicht nicht gerade hollywoodreif. Aber meine nagelneue Verlobte sieht mich nur verliebt an und behauptet: »Das ist doch Unsinn! So war es absolut … perfekt! Ich war an dem Abend wirklich nicht gut drauf, ich war ein bisschen deprimiert und müde und hatte Kopfschmerzen, und plötzlich stehst du da in meinem Wohnzimmer und stellst die Welt auf den Kopf – das war einfach unbeschreiblich! Das werd ich nie vergessen!«
Ich verspreche ihr trotzdem, das mit dem romantischen Ambiente bei nächster Gelegenheit nachzuholen, worauf Judith sagt: »Für mich ist jeder Ort romantisch, an dem ich mit dir
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