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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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berühre oder knapp darüber schwebe.
    Mir kommt ein Verdacht. Grübelnd betrachte ich die trümmerartigen Reste der Torte, die reißenden Absatz gefunden hat, nehme mir eins der übrig gebliebenen Bruchstückchen und lasse es konzentriert im Mund zergehen. Dann fällt mir endlich ein, woran mich diese aparte, leicht herbe, pflanzenartige Geschmacksnote erinnert. Und mir wird auch klar, was diese winzigen dunklen Pünktchen in der köstlichen Sahnefüllung sind. Ich sehe wieder zu Anoki rüber, der seinem Panther tröstend das Köpfchen streichelt und ihm dann ausführlich etwas erklärt, und kriege einen nahezu pathologischen Lachkrampf.
    Anoki wird auf mich aufmerksam und grinst, und ich schüttele immer noch vor Lachen japsend den Kopf. Dieser durchgeknallte kleine Verbrecher! Ich schwebe zu ihm rüber und frage: »Wie hast du das gemacht? Kleingehackt oder wie?«
    »In’n Mixer getan«, erklärt er bereitwillig. »Und dann mit der Füllung verrührt. War doch lecker, oder?«
    Ich kann mich nicht mehr beruhigen, und wenn ich mich im Raum umsehe, wo inzwischen alle ein höchst sonderbares Benehmen an den Tag legen, wird der Lachreiz nur noch größer. Ich versuche mich zu erinnern, ob irgendjemand nichts von der Torte gegessen hat, aber ich glaube, da konnte keiner widerstehen. Ich natürlich am allerwenigsten: Ich habe drei Stücke weggeputzt. Dementsprechend fühle ich mich jetzt auch. Aber das ist alles irrsinnig witzig.
    Judith und Andrea haben sich eine Rose aus dem Strauß gepflückt, den Judith meinem Vater mitgebracht hat, und üben gerade unter wildem Gekicher die Übergabe von Mund zu Mund. Mein Vater wiegt sich versonnen zur Tangomusik, und Onkel Wilfried und Joachim machen so ein Abklatschspiel wie die Mädchen in der Grundschule. Neben mir hat Anoki die Unterhaltung mit seinem Panther wieder aufgenommen.
    »Der ist eben total verfressen«, höre ich ihn sagen, »bei Judith stopft der sich auch jedes Mal mit Kuchen voll.« Der Panther kichert boshaft und guckt mich verstohlen von der Seite an.
    Außer Tante Gesine, die schlaff auf der Couch hängt, mit leidender Miene ihre Bauchgegend massiert und gelegentlich von einem Würgereiz gepackt wird, macht jeder Einzelne in diesem Raum einen unermesslich glücklichen Eindruck. Na gut, einige wirken auch ziemlich albern. Aber ich fühle mich als natürlicher Bestandteil eines friedlichen, fröhlichen, freien Universums, als liebevoll integriertes Mitglied meiner heiteren Familie, und dabei zugleich so körperlos und leicht wie ein Heliumballon. Als ich spüre, wie ich mich immer weiter vom Teppich entferne und der Zimmerdecke entgegenstrebe, lache ich laut auf vor Vergnügen.
    Ich öffne die Augen und bin erblindet. Ich will mich bewegen und bin gelähmt. Mit rasendem Herzklopfen liege ich da – ziemlich unbequem übrigens – und grüble nach, was ich tun kann. Dann beginne ich allmählich Schemen wahrzunehmen. Möglicherweise bin ich doch nicht blind, sondern es ist lediglich dunkel im Zimmer. Was für ein Zimmer das allerdings sein könnte, weiß ich beim besten Willen nicht. Ich kann mich an nichts erinnern, seit ich knapp unter der Decke unseres Wohnzimmers entlanggeflogen bin. Mir kommt die Idee, meinen Gehörsinn zu aktivieren, und ich konzentriere mich auf mögliche Geräusche. Ja, da ist etwas. Es klingt wie Atmen. Mehrstimmiges Atmen sozusagen. Außer mir müssen noch weitere Lebewesen anwesend sein.
    »Hallo?«, flüstere ich zaghaft. Keine Antwort. Ich kämpfe energisch gegen die Lähmung an und finde heraus, dass meine Gliedmaßen lediglich eingeklemmt sind. Irgendwas Schweres liegt sowohl auf meinen Beinen als auch auf meinem rechten Arm. Der linke ist frei beweglich. Ich strecke ihn tastend aus und komme zu der Erkenntnis, dass es menschliche Körper sind, die mich in meiner Mobilität behindern. Irgendwelche Leute liegen auf mir drauf. Aber allen Atemgeräuschen zum Trotz sind sie offensichtlich tot, denn auch energisches Zappeln und Zerren ruft keinerlei Reaktionen bei ihnen hervor, geschweige denn, dass sie von mir runtergehen. Meine Augen haben sich jetzt so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich ihre Umrisse erkennen kann. Der Zementsack, der über meinen Beinen liegt, könnte Anoki sein, und der auf meinem rechten Arm hat gewisse Ähnlichkeiten mit Judith. Ich drücke ebenso behutsam wie kraftvoll gegen das, was ich für ihre Schulter halte, und schaffe es so tatsächlich, sie ein paar Zentimeter anzuheben, um meinen Arm

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