Herzbesetzer (German Edition)
nicht gefallen lassen – ich meine, ich bin schließlich eine Respektsperson –, also haue ich zurück, er wehrt sich, ich auch, und am Ende hab ich ihn im Schwitzkasten und fordere: »Sag ›Gnade, o großer, mächtiger Herrscher!‹« Genau mit diesem Spruch habe ich Benjamin regelmäßig zur Weißglut getrieben, und bei Anoki funktioniert das ebenfalls prächtig.
Da gibt es nur ein Problem: Wie er da so in meiner Armbeuge klemmt und zappelt wie eine Forelle, durchrollt mich eine unglaublich heftige Welle der Begierde.
19
Ich bin so erschrocken, dass ich ihn augenblicklich loslasse. Da er nicht damit gerechnet hat, klatscht er schmerzhaft auf den Boden. ’tschuldigung. Aber ich bin total geschockt und kann nur eins denken: dass doch nun endlich mal der Gipfel der Konfusion erreicht sein müsste. Anoki rappelt sich fluchend und stöhnend hoch, wobei er sich die Schulter reibt. Dann sieht er mich an und erstarrt, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Der hat dem klugen Kerlchen allerdings genügt: Er hat gesehen, was er nicht hätte sehen sollen. Ein paar weitgehend inhaltslose Geräusche stammelnd, trete ich die Flucht in mein Zimmer an, wo ich mich aufs Bett fallen lasse und lange Zeit mit leerem Blick an die Decke starre. Nein – das geht zu weit. Ich meine, ich bin wirklich kein besonders soziales Wesen, ich habe so gut wie keinen moralischen Anspruch, und das Wort »Gewissen« habe ich im Laufe der letzten Jahre erfolgreich aus meinem Repertoire getilgt. Ich nehme mit, was ich kriegen kann, und denke praktisch nie über die Konsequenzen nach. Aber das hier – das ist sogar jenseits meiner Vorstellungswelt. Ein Vierzehnjähriger! Großer Gott! Ich glaub, ich muss zum Arzt.
Rund eine Stunde später grüble ich immer noch erfolglos darüber nach, was ich jetzt tun soll. Mir ist noch keine einzige praktikable Lösung eingefallen; alles läuft darauf hinaus, dass ich mich einfach zusammenreißen muss, denn Anoki vollständig aus dem Weg zu gehen wird ja nicht möglich sein. Ich weiß aber nicht, ob ich das kann, weil ich so was noch nie ausprobiert habe. Mit Sicherheit ist das unheimlich schwer, und ich werde jämmerlich daran scheitern.
Und dann klopft es auch noch an meiner Tür, und da steht Anoki mit der Salbentube in seiner Hand. Ich möchte am liebsten schreiend weglaufen. Er wird doch jetzt nicht von mir verlangen, dass ich seinen nackten Rücken …? Doch, das verlangt er. Oder besser gesagt: Er bittet mich darum. Aber auf so eine schüchtern-kokette Art, die mir deutlich beweist, dass er sehr genau weiß, was er tut. Was er mir antut. Ohne Hast legt er die Sweatjacke ab und zieht sich das T-Shirt über den Kopf, und dann steht er da mit dem Rücken zu mir und wartet geduldig. Seine Verletzung sieht jetzt beinahe noch schlimmer aus als heute Morgen: rot, angeschwollen, entzündet und gereizt (also ungefähr so, wie ich mich fühle).
Ich nehme meine erste Lektion in Selbstbeherrschung, als ich die Salbe behutsam darauf verstreiche, und zwinge mich, mit fester Stimme zu sagen: »Wenn du willst, können wir morgen früh zusammen zum Arzt gehen. Meine Eltern müssen es ja gar nicht mitkriegen. Das tut doch bestimmt blödsinnig weh, oder?«
»Na ja«, sagt Anoki, »schon, ja. Ich kann nicht mehr auf’m Rücken liegen, das ist doof. Und beim Sitzen anlehnen geht auch nicht richtig. Gibt’s denn hier ’n vernünftigen Arzt?«
»Wir sind doch hier nicht in der Sahelzone«, sage ich, »natürlich gibt es hier Ärzte.« Ich schraube die Tube zu, und Anoki dreht sich zu mir um. Mit so einem prüfenden Blick, für den ich ihm am liebsten eine verpassen würde. Dann lächelt er mich reizend an und sagt: »Danke. Schlaf gut.«
Ich atme auf, als ich wieder allein bin, und gleichzeitig würde ich am liebsten hinter ihm herrennen und ihn zurück in mein Zimmer zerren. In meine Arme. In mein Bett. Energisch verbiete ich mir jeden weiteren Gedanken daran und suche verzweifelt nach Ablenkung. Also, eins steht fest: definitiv, hundertprozentig und mit absoluter Sicherheit werde ich meine gierigen Finger von Anoki lassen. Die Gründe dafür sind ebenso zahlreich wie gravierend; das Strafgesetzbuch und meine Eltern sind nur zwei davon.
20
Im trüben Licht des beginnenden Wintertages kommt es mir so vor, als sei das Ganze nur ein obszöner Traum gewesen. Ich kann nicht glauben, was mein Körper mir da gestern Abend mitgeteilt hat. Das war ein Irrtum. Ein Versehen. Ein peinlicher Ausrutscher.
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