Herzbesetzer (German Edition)
einem Schüsselchen mit Bier einzuweichen, bis sie die Konsistenz von Nacktschnecken erreicht haben, und Anoki dazu zu bringen, dass wir uns gegenseitig löffelweise damit füttern – wer zuerst würgt, hat verloren. Es macht mir auch nichts aus, dass er mir mit seinem Halstuch die Augen verbindet und mich auffordert, alle möglichen Gegenstände durch Betasten zu identifizieren, darunter ein übrig gebliebenes Stück kalte Pizza, der Aschenbecher voller Kippen oder ausgepresste Orangenhälften aus dem Mülleimer. Ich hoffe die ganze Zeit, dass ich bei diesem Spiel auch die Gelegenheit bekomme, irgendwas Interessantes zu befummeln, aber den Gefallen tut er mir nicht.
Stattdessen sagt er ganz unvermittelt: »Du hast ja in deiner Sammlung auch zwei schwule Filme.«
Dieser verflixte Schnüffler kann einfach seine Finger nicht von meinen DVDs lassen!
»Ja?«, entgegne ich, als sei das eine zwar neue, aber reichlich langweilige Erkenntnis. Es entsteht eine kleine Pause, in der Anoki gedankenvoll Erdnussflips in sich reinschaufelt. Ich gucke desinteressiert in der
Gegend rum, obwohl ich ziemlich gespannt bin, wie er die Kurve kriegt.
»Hast du dir die aus Versehen gekauft?«, fragt er schließlich.
Das bringt mich zum Lachen. »Nee, bestimmt nicht«, antworte ich dann. Eigentlich finde ich dieses Gespräch überflüssig. Ich meine, zwei von – sagen wir mal: zwanzig Filmen. Das spiegelt sehr genau mein Interesse an Männern wider. Eins zu zehn, ungefähr. Da Anoki schlicht überfordert ist, mir die gewünschten Informationen zu entlocken – vielleicht ist er auch einfach schon zu breit –, komme ich ihm ein bisschen entgegen.
»Eins zu zehn«, sage ich, »beantwortet das deine drängendsten Fragen?« Das tut es natürlich nicht. Ich erkläre es ihm, und darauf fragt er: »Und so was gibt es? Dass man sich zu neunzig Prozent für Frauen und zu zehn Prozent für Männer interessiert?«
»Ach, Schätzchen«, sage ich abgeklärt und ohne seinen Rechenfehler zu kommentieren, »wenn du wüsstest, was es alles gibt.«
Er fragt weiter: »Und du hattest auch schon mal was mit Männern? Also im wirklichen Leben?«
Ich bin mir sicher, dass ihn das nichts angeht. Was soll das bringen, mit Anoki mein Sexleben durchzudiskutieren? Können wir nicht lieber gleich zum praktischen Teil übergehen?
»Ja, hatte ich«, sage ich schnell, »und du?« Ha! Jetzt guckt er ganz schön verwirrt.
»Ähm, na ja«, stammelt er hilflos, »keine Ahnung … nicht so richtig, glaub ich. Nur so die üblichen Spiele mit anderen Jungs. Du weißt schon.«
Sieh mal an, jetzt, wo es spannend wird, will er plötzlich nicht mehr darüber reden. Dabei wäre ich an Details wirklich außerordentlich interessiert! »Zum Beispiel?«, frage ich boshaft.
Aber Anoki steht auf und erklärt: »Ich muss total dringend pissen.«
Natürlich reagiere ich sofort: »Soll ich dir helfen?«
Da lacht er schon wieder, dieses betörende, unbeschwerte, ansteckende Lachen, für das ich fast alles tun würde. »Wenn hier einer Hilfe braucht, bist du das ja wohl«, erwidert er rotzfrech, aber in der Tür guckt er noch mal über die Schulter und wackelt übertrieben mit dem Hintern.
Wir lassen das Thema ruhen, und ich weiß nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert darüber bin. Erst als wir uns endlich entschließen, ins Bett zu gehen – es geht bereits auf den Morgen zu –, sagt Anoki: »Hm, dann schlaf ich ja vielleicht doch lieber auf der Couch, was?«
»Kannst du machen«, erwidere ich gespielt gleichgültig, aber ich bin verletzt. Besonders angesichts meiner bisherigen beispiellosen Selbstzucht, die mich fast in den Wahnsinn getrieben hat.
Da grinst Anoki mich an und erklärt: »War doch nur ’n Witz.« Er zieht sich unbefangen direkt vor meinen Augen aus. »Was kommt, das kommt«, philosophiert er dabei. »Hat sowieso keinen Zweck, davor wegzulaufen.«
»Mach nur so weiter«, erwidere ich und versuche nicht einmal, meine Blicke abzuwenden, »dann kommt es ganz bestimmt!«
41
Ich hatte befürchtet, dass unser Verhältnis sich durch Anokis Enthüllung meines verschwiegenen kleinen Zehn-Prozent-Geheimnisses irgendwie verändern würde, dass er mir verkrampft oder verunsichert gegenüberstehen könnte, aber das Gegenteil ist der Fall. Ja, das meine ich wörtlich: das Gegenteil, anders ausgedrückt: wir sind uns jetzt noch näher als zuvor. Natürlich muss ich damit leben, dass er mich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit damit aufzieht und
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