Herzbesetzer (German Edition)
als ausgelastet ist, aber die wenigen Kommentare, die er abgibt, zielen interessanterweise nicht auf den Inhalt des eben Gesehenen, sondern auf die Art seiner Vermittlung. Anoki macht sich Gedanken über die Schauspieler und die Regie, über die Darstellung der verschiedenen Charaktere, sogar über die Kostüme und das Bühnenbild.
»Warst du eigentlich schon mal im Theater?«, frage ich, weil er einen so kompetenten Eindruck macht, aber er schüttelt den Kopf.
»Nee. Noch nie. Wollt ich aber immer schon mal.«
Ja, das nennt man dann wohl Bestimmung oder so ähnlich. Um elf Uhr kommen wir aus dem Theater raus, und ich ahne bereits, dass er hungrig sein wird, obwohl er unmittelbar vor der Aufführung noch eine Currywurst mit doppelten Pommes verdrückt hat. Noch ehe ich ihn fragen kann, sagt er: »Ähm, können wir noch irgendwo ’ne Kleinigkeit essen? Nur ’n Döner oder so? Ich hab tierisch Hunger.«
»Ja, sicher«, sage ich wie ein Lamm vor dem Schlachthof. Immerhin habe ich noch zwanzig Euro im Portemonnaie – und wozu brauche ich Geld? Also, weg damit!
Wir landen in einem griechischen Restaurant, und Anoki bestellt einen Grillteller, der locker für eine achtköpfige Auswandererfamilie reichen würde. Je mehr sich sein Magen füllt, desto gesprächiger wird er, und jetzt teilt er mir minutiös alles mit, was er an dieser Theateraufführung anders gemacht hätte, einschließlich der Gründe und der Beweisführung für die technische Machbarkeit. Ich kann ihm nicht immer ganz folgen, stattdessen sehe ich ihn mir einfach an, wie er futtert, redet, gestikuliert, lächelt und Begeisterung ausstrahlt, und das macht mich vollkommen high – mehr als jede Droge, die ich je zu mir genommen habe.
»Hörst du mir eigentlich zu?«, dringt es irgendwann durch meinen seligen Rausch. Hastig bringe ich meine Gesichtszüge in Ordnung.
»Äh, ja, klar hör ich dir zu«, lüge ich routiniert. »Ich bin echt beeindruckt. Weißt du, was ich glaube? Du wirst in Hollywood Karriere machen.«
Anoki guckt mich böse an. »Du nimmst mich überhaupt nicht ernst«, schmollt er.
Ich entschließe mich zur Offenheit. »Okay. Ich sag dir, was ich gerade gedacht habe. Ich hab dich angesehen und war unglaublich glücklich, wie du dich freust und wie lebendig du bist und wie du in dieser Theatersache aufgehst. Vielleicht hab ich jetzt den letzten Satz nicht so ganz mitgekriegt, aber ich hab dir wirklich meine volle Aufmerksamkeit geschenkt, das schwöre ich dir.«
Anoki dreht den Kopf seitwärts und mustert mich misstrauisch aus den Augenwinkeln. »Du hast an Sex gedacht«, behauptet er. Ausnahmsweise habe ich das nicht getan, deshalb fällt es mir nicht schwer, gekränkt dreinzublicken.
»Überhaupt nicht! Ich hab mich einfach bloß mit dir gefreut!«
Er betrachtet mich noch ein paar Sekunden lang aufmerksam und argwöhnisch, aber dann erscheint wieder dieses Sonnenaufgangslächeln auf seinem Gesicht.
Nachdem Anoki mit neuer Energie aufgefüllt ist, glaubt er allen Ernstes, wir würden jetzt noch durch die Clubs ziehen. Der spinnt ja wohl. Ich zeige ihm mein ausgeweidetes Portemonnaie: »Hier, guck selber nach! Das reicht nicht mal mehr für eine Cola!«
Aber er schüttelt nur überlegen den Kopf. »Das ist doch ’ne voll bescheuerte Show, die du hier abziehst. Hältst du mich für ’n Baby oder was? An jeder Ecke stehen Geldautomaten! Erzähl mir nicht, dass du dein Gehalt cash im Briefumschlag ausgezahlt kriegst!«
Ich muss tief durchatmen, um diesen anmaßenden Flegel anschließend nachdrücklich in die Schranken zu weisen. »Jetzt pass mal auf, du Blutsauger, wenn du jemanden zum Ausnehmen suchst, dann bist du bei mir falsch! Ich kann was Besseres mit meiner Kohle machen, als sie dir in den Arsch zu pumpen, verstanden? Wir fahren jetzt nach Hause, und ich will kein Wort mehr hören!«
Da guckt Anoki mich erschrocken an und sagt keinen Ton mehr, bis wir am Auto sind. Ich habe längst ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn so angepupst habe, aber noch ehe ich mich entschuldigen kann, tut er das bereits.
»Tut mir leid«, sagt er, »ich hab irgendwie nicht richtig nachgedacht. Hör mal – ich hab noch ’n bisschen von meinem Taschengeld. Morgen früh geh ich Brötchen holen, ja?«
Mein Herz vibriert vor Rührung. »Lass mal gut sein«, antworte ich, »ich wollte dich nicht so runterputzen. Sorry.«
Am nächsten Morgen fühle ich mich so zittrig und nervös, dass ich mein Vorhaben bezüglich der Beruhigungstabletten
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