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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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verpflichtet zu sagen, dann zwinge ich mich zum Gehen.
    Ganz gehorsam ruft Anoki mich gegen elf Uhr an. Ich habe gerade mein Vormittagstief und starre bereits seit fünf Minuten gedankenlos auf meinen Bildschirm mit dem Prospekt für die übernächste Woche. Die Ablenkung kommt mir sehr gelegen, auch wenn ich nicht frei sprechen kann, da ich mir das Büro mit zwei Kollegen teile. Ich stelle mich mit dem Handy ans geöffnete Fenster.
    »Na, ausgeschlafen? Hast du schon gefrühstückt?«, frage ich.
    »Yep, alles vernichtet«, meldet Anoki. Das ist mit Sicherheit wörtlich zu verstehen. »Und du?«, will er wissen. »Hast du in der Schule angerufen?« Das habe ich natürlich. Ich hab gesagt, dass Anoki Kopfschmerzen hat, und damit war der Fall erledigt.
    »Hör mal zu«, komme ich auf das Wesentliche zu sprechen, »du brauchst ja nicht den ganzen Tag in der Wohnung auf mich zu warten. Wenn du willst, kannst du in den Zoo gehen, oder ins Aquarium. Was hältst du davon? Nimm meinen Ersatzschlüssel mit. Und ich hab fünfzig Euro auf den Tisch gelegt, für die Busfahrt und den Eintritt und was zu essen. Den Rest krieg ich wieder, verstanden? Um fünf bin ich wieder zu Hause, und dann steh ich dir für alles zur Verfügung.«
    Zweideutige Bemerkungen erfasst Anoki immer blitzartig. »Wow, fett«, sagt er. »Ich mach mir schon mal Gedanken!«
    Hm, schön wär’s. Wahrscheinlich will er bloß wieder Pizza essen. »Wenn irgendwas ist, ruf mich an«, sage ich. Die Vorstellung, dass er jetzt so lange sich selbst überlassen bleibt, gefällt mir nicht besonders – andererseits muss er lernen, ein bisschen selbstständig zu werden.
    »Ja, klar«, beruhigt Anoki mich. »Ich glaub, ich geh ins Aquarium – Haie und Piranhas und so. Vielleicht darf man die füttern.«
    »Ja, kannst ja mal die Finger reinhalten«, stimme ich zu. »Also – bis heute Abend! Ich freu mich auf dich.«
    Er pariert mit einem lässigen »See you« und legt auf. Als ich mich wieder an meinen Arbeitsplatz setze, schaut Jörg von seinem Bildschirm hoch und fragt: »Na, hast du deine Freundin zu Besuch?«, woraufhin ich meine Kaffeetasse umwerfe.
    Bei meiner Heimkehr bin ich erleichtert, dass Anoki da ist. Er lümmelt auf der Couch und telefoniert.
    »Das Mädel aus Dresden?«, frage ich leise, und er nickt lächelnd. Nachdem er das Gespräch beendet hat, setze ich mich zu ihm und stelle ihm ein Bier hin. »Also, erzähl«, fordere ich ihn auf, »was hast du heute gemacht?« Er berichtet vom Aquarium, danach war er noch auf dem Kudamm bummeln, und dann ist er wieder hierhergekommen.
    »Hast du noch Geld übrig?«, frage ich. Da wird er verlegen, und ich seufze resigniert. Scheiße! Schon wieder fünfzig Euro weg, dabei ist er gerade erst hier! »Hast du dir was gekauft?«, frage ich und bemühe mich, nicht den geringsten Vorwurf durchklingen zu lassen. Schon lässt er wieder sein berühmtes strahlendes Lächeln sehen und korrigiert mich: »Uns! Hier, guck mal.« Und er zieht ein nicht gerade kleines Piece aus der Jackentasche. »Soll ich uns direkt eine drehen?«, fragt er eifrig.
    Ich starre den Haschischklumpen an. »Du meinst, du persönlich hast das gekauft? Mit anderen Worten, es gibt Dealer, die so was an kleine Kinder verkaufen?«
    »Kleine Kinder! Wie bist du denn drauf, Alter? Ich werd fünfzehn!«
»Nein – wirst du nicht«, widerspreche ich. »Du gehst vorher an deiner Drogensucht zugrunde.« Anoki lacht fröhlich, als hätte ich einen tollen Witz gemacht.
    Nach dem zweiten Joint habe ich mein Unbehagen nicht nur über wunden, sondern vollständig vergessen – erstklassiger Stoff, den er da erstanden hat. Wie es aussieht, werden wir heute nirgendwo mehr hingehen, sondern uns einen netten, bekifften Abend zu Hause machen. Da wäre nur das Problem der Nahrungsaufnahme, aber das lässt sich ja mithilfe eines Pizzalieferdienstes lösen. Ich weiß nicht genau, warum Anoki drei verschiedene Pizzen bestellt, während ich mich ganz konventionell mit einer bescheide, aber auch das klärt sich am Ende auf: Er isst sie. Eine nach der anderen.
    Unsere Unterhaltung verliert zusehends an Zusammenhang, was unserem Lachzwang keinen Abbruch tut. Die leise Stimme, die mir sagt, dass ich mich wie ein grenzdebiler Teenager benehme, ist ganz weit hinten in meinem Kopf. Außerdem fühle ich mich berechtigt, mal ein bisschen verpatzte Jugend nachzuarbeiten; immerhin habe ich seit dem Unfall nicht mehr viel Spaß gehabt. Ich schrecke also nicht davor zurück, Nachos in

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