Herzbesetzer (German Edition)
Zimmer hat: Inline-Skates, eine Boombox, mindestens fünf neue CDs, eine Wasserpfeife, stapelweise Mangas und – was mich beinahe zu Tränen rührt – einen chromfarbenen Bilderrahmen auf seinem Nachttisch mit einem Foto von ihm und mir in Berlin, das ich mit Selbstauslöser gemacht habe. Ich stelle mir in meiner grenzenlosen Eitelkeit vor, dass er jeden Abend als Letztes einen von Sehnsucht verschleierten Blick auf mein Porträt wirft, ehe er das Licht löscht, und dann am besten noch ein bisschen an sich herumspielt und dabei an mich denkt. Man wird ja mal träumen dürfen. Jedenfalls kommt mir der plötzliche Wertezuwachs in seinem Zimmer merkwürdig vor, und als er auch noch einen Boxsack an die Decke hängen will, spreche ich ihn darauf an.
»Du kriegst aber ganz schön viel von meinen Eltern in den Hintern geblasen, muss ich sagen. Hast du das überhaupt verdient?«
Anoki rümpft beleidigt die Nase. »Blödmann. Den hab ich mir selbst gekauft.« Er wuchtet den bleischweren Boxsack in die Höhe, um ihn an den Deckenhaken zu hängen, was ihm nicht gelingt. Grinsend und mit verschränkten Armen sehe ich zu, wie er sich abmüht. Er ist zu stolz, mich um Hilfe zu bitten, und rackert unverdrossen weiter.
»Und die Shisha? Und die ganzen neuen CDs? Die Inliner?«, frage ich.
»Alles selbst gekauft«, ächzt Anoki unter der Last seines neuen Sportgeräts.
»Selbst geklaut, meinst du«, behaupte ich.
Er lässt den Boxsack mit einem dumpfen, heftigen Knall fallen und blitzt mich an, mit jenem heiligen Zorn, den man nur aufbringt, wenn man zum ersten Mal im Leben etwas Legales gemacht hat und keiner es glauben will. »Gekauft!«, wiederholt er, als sei ich schwerhörig. »Hier sind die Quittungen!« Er öffnet eine Schublade seines Schreibtischs und hält mir einen Haufen Kassenbons hin, die ich nur mit einem kurzen Blick streife – es sind tatsächlich die Belege für seine Neuanschaffungen.
»Und dann sag mir mal bitte, wie ich so was hier klauen soll«, fügt Anoki hinzu und stemmt den Boxsack erneut in die Höhe. Da hat er recht – er kriegt ihn ja kaum bis auf Schulterhöhe. Den wird er bestimmt nicht unter der Jacke aus dem Laden geschmuggelt haben.
Lächelnd helfe ich ihm, das Ding an den vorbereiteten Haken zu hängen. »Na gut«, lenke ich ein, »bleibt die Frage: Woher hast du auf einmal so viel Geld?«
Spätestens an dieser Stelle schmilzt seine empörte Rechtschaffenheit dahin. »Ich krieg doch Taschengeld«, erklärt er, aber dass mich das nicht überzeugen wird, weiß er selbst.
Wie zufällig schlendere ich zum Schreibtisch, öffne noch einmal die Schublade mit den Bons, nehme sie raus und addiere die Endsummen im Kopf. »Zweihundertdreißig Euro«, sage ich gelassen. »Da hast du ja über elf Monate eisern gespart. Na, da kann man sich wohl mal was gönnen, nehme ich an.«
Anoki reißt mir die Zettel aus der Hand und stopft sie wieder weg. Er ist längst total verunsichert, und ich genieße im Stillen meine Überlegenheit. »Genau«, schnappt Anoki, »also kümmer dich jetzt wieder um deinen Kram, ja?« Er packt ein Paar nagelneue Boxhandschuhe aus einem Karton, streift sie mit einer gewissen Ehrfurcht über und fängt dann an, seinen Ärger an dem Boxsack auszulassen. Ich sehe ihm einige Minuten schweigend und verträumt zu.
Natürlich lasse ich nicht locker – mache ich grundsätzlich nicht. Ich komme im Laufe dieses Wochenendes immer wieder auf Anokis unerwarteten Reichtum zu sprechen, sobald wir alleine sind. Er reagiert zunehmend genervter, was ein Zeichen dafür ist, dass er bald einknicken wird. Am Sonntagnachmittag habe ich das Rätsel dann gelüftet, und es ist noch schlimmer, als ich gedacht hatte. Anoki hat nämlich, wie er mir stockend und angstvoll gesteht, von meiner gebrannten Porno-DVD eine Vielzahl von Kopien angefertigt und diese dann an der Schule sehr erfolgreich vertickt – für zwanzig Euro pro Stück. Nachdem ich das aus ihm rausgequetscht habe, bin ich so wütend, dass ich ihn beinahe zusammenschlage. Er hat Glück, dass im selben Moment das Abendbrot fertig ist und wir uns mit meinen Eltern an den Tisch setzen müssen. Ich kriege keinen Bissen runter vor Zorn, und er hält sich auch auffällig zurück. An diesem Tag haben wir keine Gelegenheit mehr, unter vier Augen miteinander zu sprechen, und ich nehme an, das rettet sein Leben oder wenigstens seine Gesundheit. Aber ich mache ihn tags darauf am Telefon so fertig, dass er beinahe heult, und beende das Gespräch
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