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Herzbesetzer (German Edition)

Herzbesetzer (German Edition)

Titel: Herzbesetzer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.A. Wegberg
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ohne Abschied, was ich noch nie getan habe. Er ruft noch mehrmals an, aber ich gehe nicht ran, und dann schickt er mir eine SMS: »tut mir leit sorry !!! was sol Ich,machen dasdu nich mer Sauer bist.« Ich könnte zurückschreiben: »Lern endlich Deutsch«, aber ich reagiere einfach gar nicht – das tut ihm am meisten weh. Und diesmal hat er es echt verdient.

 
 
46
    Nachdem ich Anoki drei Tage lang habe schmoren lassen, in denen er siebzehn Mal bei mir angerufen und fünf E-Mails sowie neun SMS geschickt hat (eine davon sogar nahezu fehlerlos, nämlich »bitte!bitte!geh ran!«), beschließe ich, wieder mit ihm zu reden, und zwar um ihm zu sagen, dass ich die ganze Geschichte meinen Eltern erzählen werde. Daraufhin stürzt er in noch größere Verzweiflung, falls das überhaupt möglich ist, und verspricht mir, alles zu tun, was ich von ihm verlange, wenn ich es nur für mich behalte. Ich fertige im Geiste eine Liste all jener Dinge an, die ich gern von ihm verlangen würde, stelle dann aber fest, dass mir das rein körperlich nicht guttut, und sage deshalb: »Ach, halt die Fresse. Ich lass nicht mit mir verhandeln. Du hast mein Vertrauen schon genug missbraucht. Deine Versprechungen sind genauso leer wie mein Kühlschrank, nachdem du bei mir gewesen bist.« Je gröber meine Beleidigungen, desto inbrünstiger wirft er sich mir zu Füßen. Das flasht.
    »Juli, bitte! Ich lad dich zum Essen ein, wenn ich das nächste Mal in Berlin bin. Echt. Aber bitte, bitte, sag deinen Eltern nichts! Die drehen durch! Wenn die das rauskriegen, dann … dann schmeißen die mich raus!«
»Ja, klar«, sage ich, »das sollen sie ja auch! Ich meine, das sind meine Eltern, verstehst du? Ich hab eine Verantwortung für sie! Soll ich vielleicht zusehen, wie sie einen Kriminellen hochpäppeln, der sie nur ausnimmt und benutzt?«
    »Scheiße«, flüstert Anoki kraftlos, »ich hab denen doch gar nichts getan!«
    Solche Einwände wische ich mit einer einzigen Handbewegung beiseite. »Nichts getan nennst du das? Was ist, wenn die Polizei ihr Haus durchsucht, weil irgendeiner deiner Kunden nicht dichthält, und die DVDs findet? Das steht dann am nächsten Tag auf der Titelseite vom Ruppiner Anzeiger, mit Foto am besten. ›Dirk und Petra T. aus Neuruppin, die pornografisches Material illegal kopiert und an Minderjährige verkauft haben.‹« Ich trage bewusst ein bisschen dick auf. »Selbst mit vierzehn kann man doch nicht so doof sein, dass man das nicht kapiert«, fahre ich mit meinem Vernichtungsschlag fort. »Und falls doch, dann bist du im Heim auf jeden Fall am besten aufgehoben. Kannst dann gleich nahtlos in Jugendhaft überwechseln, fällt kaum auf.«
    Anoki sagt kaum noch was. Er ist wirklich am Ende. Dies ist ja auch das erste Mal, dass er von mir so richtig Druck bekommt – was hauptsächlich daran liegt, dass es meine DVD war, mit der er diesen Scheiß gebaut hat.
    Anscheinend bin ich ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen. Um elf Uhr abends ruft mein Vater an und fragt, ob ich wüsste, wo Anoki sei. Ich hab mir gerade die Zähne geputzt und bin ziemlich erschrocken.
    »Wieso? Nicht im Bett?«, frage ich dümmlich.
    »Gute Idee, da bin ich gar nicht drauf gekommen«, erwidert mein Vater mit ungewohntem Zynismus. »Nein, er ist natürlich nicht im Bett. Genauer gesagt ist er noch nicht mal im Haus. Er ist weg. Muss sich nach dem Abendessen rausgeschlichen haben. Übrigens hat er nichts gegessen, ich dachte erst, er wäre krank. Weißt du irgendwas Näheres?«
    Natürlich werde ich meinen Eltern nichts von Anokis Nebeneinkünften erzählen und hatte auch nie die Absicht – diese Behauptung war nur eine pädagogische Maßnahme, um meinen missratenen Bruder das Fürchten zu lehren. »Ähm, na ja, also, wir hatten eine … Meinungsverschiedenheit«, stottere ich mir zurecht. »Vielleicht ist er bei Nick!«, rufe ich dann voller Hoffnung.
    Aber mein Vater sticht in die schöne bunt schillernde Seifenblase und antwortet: »Nein, ist er nicht. Da hab ich schon angerufen.«
    Da sacke ich in meinem Sessel zusammen und merke, wie die Magensäure meine Kehle hochsteigt.
    In meinem bereits ziemlich schläfrigen Gehirn jagen sich unvollendete Gedanken. Ich versuche einzuschätzen, was Anoki vorhat. Also, ein klassischer Selbstmordkandidat ist er nicht, dafür ist seine Grundeinstellung zu heiter und zu positiv. Trotzdem weiß ich nicht, wozu er unter großem Druck fähig ist, und ich muss zugeben, dass ich genau solchen auf ihn ausgeübt

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