Herzbesetzer (German Edition)
zu. »Wir haben nur Geschichte geschwänzt«, beteuert er. »Danach sind wir wieder zur Schule zurückgegangen.«
»Ja, alkoholisiert und mit Bierfahne«, erwidere ich, »bestimmt ein toller Auftritt.«
Anoki schnaubt: »Quatsch! Von einer Flasche wird man doch nicht besoffen!«
»Hör mal, du weißt doch, dass du deine Rolle als Dennis verlierst, wenn du Mist baust«, sage ich. »An deiner Stelle wäre ich da wirklich nicht so gleichgültig. Wenn sie dich aus der Theatergruppe rausschmeißen, heulst du mir wieder die Ohren voll.«
Dagegen kann er nichts einwenden. »Aber Nick wollte nicht zu Geschichte, weil der die Hausaufgaben nicht hatte«, klagt er dann.
Ja, so ähnlich hatte ich mir das gedacht. »Es ist deine Entscheidung«, sage ich brutal, »Nick oder deine Theaterkarriere. Du musst selber wissen, was dir wichtiger ist.«
Eine knappe Woche später ruft Anoki mich an und plaudert zunächst fast eine halbe Stunde wie jeden Tag mit mir, ehe er unvermittelt fragt: »Ach, wenn du am Freitag kommst – kannst du mir dann ’ne DVD aus deiner Sammlung mitbringen? Du kriegst die zurück, ich brauch nur ’ne Kopie.«
Ich hör ja wohl nicht recht! Aber noch ehe ich Luft holen kann, um zu einer Antwort anzusetzen, fügt Anoki hastig hinzu: »Ich guck mir den auch nicht an, ehrlich.«
Da muss ich erst mal lachen, denn das ist das Absurdeste, was ich je gehört habe.
»Der Film ist für den Bruder vom Nick«, erklärt Anoki leicht beleidigt. »Hab ich dem versprochen.«
Mir bleibt das Lachen im Halse stecken. Wieso sollte ich Nicks arbeitsscheue Brüder mit Pornofilmen versorgen? Und was hat Anoki damit zu tun? Ich lasse nicht locker, ehe ich ihm die ganze Geschichte aus der Nase gezogen habe, was einige Mühe erfordert, weil er die Wahrheit nur häppchenweise enthüllt: Anoki hat am Dienstag bei Nick übernachtet und dabei auch dessen ältere Brüder kennengelernt. Einer von ihnen, der neunzehnjährige Ronny, mit dem Nick sich das Zimmer teilt, soll eine ansehnliche Sammlung von Sexmagazinen unter seinem Bett aufbewahren, die er Nick und seinem neuen Freund offenbar bereitwillig gezeigt hat. Dabei hat er angegeben wie grüne Seife, obwohl, wie Anoki neunmalklug bemerkt, die meisten Hefte tatsächlich »totaler Mist« gewesen seien – »da hat man gar nichts Richtiges gesehen«. Anoki konnte der Versuchung nicht widerstehen, daraufhin mit seinem großen Bruder und dessen exquisiter Hardcore-DVD-Sammlung anzugeben, auch wenn er das natürlich nicht so ausdrückt. Und um sich bei Nick und seiner unsäglichen Familie die entsprechende Geltung zu verschaffen, will er jetzt beweisen, dass er nicht übertrieben hat.
Auch wenn ich kein ausgeprägtes Moralempfinden besitzen mag, so reicht es doch allemale, um meine Erwachsenenfilme von Minderjährigen fernzuhalten, und an Wildfremde möchte ich sie schon gar nicht weitergeben. Andererseits ist mir klar, in welche Situation ich Anoki bringe, wenn ich verhindere, dass er sein Versprechen einlöst: Er steht dann als Aufschneider und Lügner da. Also überziehe ich ihn mit einem Schwall von Verwünschungen, weil er schließlich daran schuld ist, dass ich mich in dieser Zwickmühle befinde. Danach fühle ich mich ein wenig besser, weiß aber immer noch nicht, was ich tun soll, und erbitte mir Bedenkzeit. Nach unserem Gespräch fange ich an zu grübeln, wie ich mit einigermaßen heiler Haut da rauskomme. Ich erwäge zum Beispiel, eine meiner DVDs zu kopieren und dann alle nicht jugendfreien Szenen digital rauszuschneiden. Ich meine, ich bin Medienbearbeiter – ich habe sowohl die Software als auch das Know-how. Einziges Problem ist, dass von keinem meiner Filme nach einer solchen Behandlung mehr als anderthalb Minuten Spielzeit übrig bleiben würden.
Am Freitagabend, als Anoki und ich uns zum Schlafen ins obere Stockwerk zurückgezogen haben, klopfe ich noch mal bei ihm an und drücke ihm den kopierten Silberling in die Hand. Meine Kapitulation vor jeglichen moralischen Grundsätzen.
Anoki strahlt mich an und sagt: »Jetzt hast du aber echt was bei mir gut«, und da ich ohnehin schon so durch und durch korrumpiert bin, zeige ich ihm durch ein Haifischgrinsen, welche Art von Wiedergutmachung mir vorschwebt. Ich weiß nicht, ob er das kapiert. Wahrscheinlich nicht – er lächelt so bezaubernd unschuldig.
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Während meine Mutter zu Beginn nur im Säuselton mit Anoki gesprochen hat, klingt sie nun schon viel robuster. Sehr oft macht sich auch eine gewisse
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