Herzblut 02 - Stärker als der Tod
„Du hörst dich an, als könnte man einfach so was Neues anfangen, wenn man abserviert wurde.“
„Nach Vanessa hast du jedenfalls nicht lange gebraucht.“
Er verdrehte die Augen und lehnte sich zurück. „Das war doch keine richtige Beziehung. Ich war für sie so was wie eine große Ken-Puppe, die sie ständig ummodeln konnte. Außerdem habe ich Schluss gemacht, nicht sie.“ Als ich ihn erstaunt ansah, erklärte er:„Anne hat mir erzählt, was Vanessa in Geschichte zu ihrer Schwester gesagt hat. Habt ihr gedacht, ich drehe Däumchen, bis Vanessa mit mir Schluss macht?“
Interessant. Damit legte er glatt ein paar Respektpunkte zu.
„Wo wir schon beim Thema sind“, fuhr er fort. „Ich habe gehört, was du mit Tristan gemacht hast. Das soll ja richtig brutal gewesen sein, sogar für Highschool-Verhältnisse. Hast du ihn wirklich vor seiner ganzen Familie abgeschossen?“
Ich zuckte zusammen. Ich hatte keine Ahnung, welche Version der Geschichte er gehört hatte.
Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme. „Ich habe ihn nicht abgeschossen .“
„Echt nicht? Habe ich aber gehört. Ich kann wohl von Glück sagen, dass Anne nicht so heftig drauf war. Sie hat mir nur eine SMS geschickt.“
„Bei Tristan und mir ist es ganz anders als bei dir und Anne, das kannst du mir glauben.“ Wieso verglich er die beiden Trennungen überhaupt miteinander?
„Ach ja? Woher willst du das wissen?“
Ich schnaubte. Wenn er nicht zur Hälfte Nachfahre und zur Hälfte Vampir war und Anne nicht plötzlich dem Clann beigetreten war, ohne mir etwas zu sagen, konnte man das nicht mal ansatzweise vergleichen. „Weißt du was? Du hast keine Ahnung von uns oder von dem, was passiert ist.“
„Und du hast keine Ahnung von mir und Anne.“
Nur weil sie mir nicht erzählen wollte, was passiert war. Zähneknirschend suchte ich nach einer passenden Antwort.
Es klingelte, und er sprang auf. „Bis zur nächsten Englischstunde.“ Mit hängenden Schultern, die Hände tief in den Taschen seiner Jeans vergraben, zog er ab. Sein Heft und das Arbeitsbuch hatte er sich zwischen den linken Unterarm und seinen Körper geklemmt, und irgendwie hielt es. Vielleicht vom vielen Footballtraining, bei dem er als bester Receiver unserer Auswahlmannschaft den Ball zum Touchdown trug.
Als ich mich bückte, um meine Sachen aufzuheben, fiel mir sein Buch auf, das noch aufgeschlagen mit dem Rücken nach oben aufdem Tisch lag. Legenden und Sagengestalten von Osttexas , stand da. Was sollte das? Ich drehte das Buch um. Die halbe linke Seite wurde von einer fauchenden schwarzen Katze eingenommen, die fast so groß wie ein Tiger war. Sie streckte die Krallen aus, als wollte sie einen Dorfbewohner vor sich angreifen.
Jungs. Die beschäftigten sich schon mit seltsamen Sachen.
Am nächsten Tag entdeckte ich, dass Ron und ich auch in der zweiten Stunde zusammen Chemie hatten.
„He, arbeiten wir zusammen?“, fragte er, als Mr Knouse uns sagte, wir sollten Zweiergruppen bilden und uns Tische suchen.
Erst wollte ich zustimmen, aber als ich an unser Gespräch von gestern dachte, zögerte ich. Wollte ich mir auch noch den Stress antun?
Seufzend hielt ich mich an meinen ersten Impuls. „Klar, warum nicht. Aber ich muss dich warnen: Wenn es um Zahlen geht, bin ich eine totale Niete. Auch bei Naturwissenschaften.“
Er lächelte schief. „Dann hast du Glück. Naturwissenschaften sind mein Spezialgebiet. Na ja, und Football.“
Grinsend folgte ich ihm zu einem Tisch. „Das werden wir ja beim Spiel diese Woche sehen. Ist die Texas High nicht unser stärkster Gegner? Wenn ich mich richtig erinnere, haben die euch letztes Jahr weggepustet wie nichts.“
„Ach bitte. Das war nur Pech. Glaub mal, dieses Jahr sind die Tigers nur noch handzahme Kätzchen, wenn wir mit ihnen fertig sind.“
Ich ließ meine Tasche auf den Boden plumpsen und setzte mich auf einen der Hocker an unserem Tisch. Als ich mich aufstützte, wirkten meine Unterarme und Hände im Vergleich zu der schwarzen Arbeitsfläche kalkweiß.
Sofort ließ ich die Hände in den Schoß sinken. „Wenn du wirklich so gut bist, ich meine, in Chemie, dann könnten wir einen Tauschhandel machen: Du hilfst mir hier bei den Hausaufgaben, und ich gebe dir Nachhilfe in Englisch. Du bist nicht der Einzige, der manchmal Klatsch hört, und angeblich ist Englisch so gar nicht dein Fachgebiet.“
„Hat Anne das erzählt?“ Der arme Junge sah richtig hoffnungsvoll aus. Seine Sehnsucht schrammte
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