Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
Sonja eilte herbei und nahm, begleitet vom wilden Piepsen des Computers die restlichen Schläuche kopfschüttelnd ab.
In diesem Moment betrat der Doktor wieder den Raum. Er wirkte seltsam abwesend, fast niedergeschlagen. Sein Gesicht war blass.
»Ist was?«, fragte Kluftinger vorsichtig.
»Wie? Ach so, ja … nein. Alles … gut. Man muss sich eben damit abfinden, dass nichts von ewiger Dauer ist. Da muss man jetzt handeln, sonst kann sich das übel lange hinziehen. Das belastet ja dann nur, bis es dann endlich vorbei ist. Ach herrje, ich weiß gar nicht, wie ich es meiner Frau beibringen soll …« Die letzten Silben ließ er wie dunkle Wolken im Raum schweben.
Seiner Frau?
Wenn überhaupt, dann war doch Erika diejenige, der etwas beigebracht werden musste. Nur: was? Kluftinger wagte nicht nachzufragen. Ihm war nur klar, dass er es seinen Lieben selbst beibringen würde, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wie.
Doch plötzlich übernahm sein Überlebenswille das Ruder, und seine Stimmung änderte sich schlagartig. Nein, so leicht war ein echter Kluftinger nicht totzukriegen. Er würde kämpfen. Sein Vater hatte es ihm vorgemacht, er würde …
»Wird schon nicht so schlimm sein, gell? Irgendeine Hoffnung gibt es immer.«
»Ich weiß nicht. Man muss sich da wohl mit den Gegebenheiten abfinden. Aber ich will Sie nicht damit langweilen.«
Langweilen?
Langhammer war wirklich der unsensibelste Quacksalber, der ihm je untergekommen war. Wie kam er denn bitte darauf, dass ihn sein lebensbedrohlicher Zustand langweilen würde?
Er zog sich rasch an, um diesem Ort des Schreckens zu entkommen. Er musste zuerst selbst über alles nachdenken.
»Ich möchte bis zur endgültigen Beurteilung noch die Laborwerte abwarten«, fuhr der Doktor geistesabwesend fort. »Haben wir denn schon Ihre Urinwerte?«
»Ich … die sind in Ordnung, hat’s geheißen.«
»Aha, stellen meine Mitarbeiter jetzt schon die Diagnosen? Na ja, egal. Ich will mich da jedenfalls noch gar nicht festlegen. Was ich aber jetzt schon sagen kann, ist, dass eine Umstellung Ihres Lebenswandels einschließlich der Ernährungsgewohnheiten angezeigt ist, egal, was die Werte sagen.«
»Eine Umstellung?«, fragte Kluftinger und schöpfte wieder Hoffnung.
»Ja, ich geb Ihnen die Adresse von einer Rehaklinik in Oberstaufen, die verfolgt einen holistischen Ansatz.«
»Also, mit so religiösem Zeug hab ich’s nicht so.«
Langhammer blickte ihn irritiert an. »Wie auch immer. Melden Sie sich da. Die behandeln auch ambulant. Für eine Kur fehlt Ihnen ja doch die Geduld. Zuständig ist ein Doktor Steiner, sehr fähiger Mann.«
»Ja, ja, den kenn ich.« Er verschwieg ihm, welch hohe Meinung der Arzt selbst von Langhammer hatte.
»Und wegen Ihrer Verspannungen an der Wirbelsäule schreib ich Ihnen achtmal Fango und Massagen auf. Das müsste eigentlich die Blockaden lösen. Vielleicht sollten Sie auch mal einen Osteopathen aufsuchen, das hat schon manchem geholfen. Ein Advocatus Diaboli würde jetzt natürlich …«
Er machte ein kurze Pause. »Sie wissen doch, was das heißt, oder?«
Kluftinger nickte mechanisch. »Klar, der … Diabolus halt.«
»Diaboli. Genitiv, mein Lieber. Verwechseln viele. Jedenfalls müsste ich eigentlich sagen: Vorsicht – alternative Heilmethode. Aber, wie sagt schon Hamlet zu Horatio: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt. Probieren Sie’s einfach mal.«
Kluftinger atmete hörbar aus. Die paar Verspannungen im Rücken belasteten ihn im Moment vergleichsweise wenig.
Der Doktor blickte auf die Uhr: »Oje, böses Ührchen. Jetzt hab ich aber ganz schön viel Zeit mit Ihnen vertrödelt. Also, ich melde mich dann, wenn ich die Werte habe, dann schauen wir, wie’s weitergeht.« Dann schlug er ihm auf die Schulter und raunte ihm zu: »Und immer dran denken: Heute ist der erste Tag vom Rest Ihres Lebens. Carpe diem!«
Draußen musste sich Kluftinger erst einmal auf eine Bank setzen. Es war kalt, und er war verschwitzt, doch was konnte ihm nun eine Erkältung noch anhaben? Er hatte wahrlich größere Sorgen. Ein paar Minuten saß er wie paralysiert da, während Begriffe wie Spenderherz, Transplantation und Testament durch seinen Kopf schwirrten. Ächzend stand er auf, atmete tief durch und ging mit gesenktem Kopf in den benachbarten Supermarkt. Wie oft hatte er schon von Menschen gelesen, die allein durch eine radikale Änderung ihrer Lebensweise dem Tod von der
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