Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
Schippe gesprungen waren? Menschen, die noch weit schlimmere Probleme hatten als er, zum Beispiel … na, jedenfalls schlimmere.
Er gab sich einen Ruck, bahnte sich entschlossen seinen Weg durch das verlockende Warenangebot, schritt an der Wursttheke vorbei wie ein Präsident, der den letzten Zapfenstreich abnimmt, und verabschiedete sich dabei im Geiste von all den heiß geliebten Speisen in der Auslage, dem dunkel schimmernden Presssack, dem saftig-rosafarbenen Leberkäse, der blutroten Rindersalami. Vor dem Kühlregal mit den Milchprodukten machte er schließlich halt.
Vor allem die Joghurts schienen ihm verlockend, denn die mit Kürzeln wie »LC 1 « und »A,C,E« sowie bunten Bildchen von Früchten versehenen Produkte verhießen nicht nur vollmundigen Geschmack, sondern auch heilsame Wirkung. Allein vom eingehenden Studium der ihm weitgehend unbekannten Inhaltsstoffe fühlte Kluftinger sich gesünder, jünger, merkte, wie die Lebensgeister zurückkehrten, spürte die Überlegenheit des kritischen Konsumenten gegenüber den armen, triebgesteuerten Kreaturen, die neben ihm zum Sahnepudding griffen.
Schließlich entschied er sich für einen Magermilchjoghurt mit »probiotischen Kulturen und cholesterinregulierendem Alphakollagen«, was ihm zwar ebenfalls nichts sagte, aber wahnsinnig gesund klang. Aus der Gemüsetheke fischte er sich dann noch eine Gurke.
Als er damit zufrieden an der Kasse stand, blickte ihn die Kassiererin über den Rand ihrer Hornbrille skeptisch an. »Du, Klufti, ich glaub, du hast den falschen Einkaufswagen erwischt. Das wird ja kaum alles sein, oder?«
Er senkte den Blick auf seine Waren und schluckte: Tatsächlich boten die Gurke und der Joghurt ein erbärmliches Bild.
Priml.
Das also war sein neues Leben?
Er presste trotzig die Lippen zusammen: ja. Das war es. Sein neues Leben.
Leben!
Alles andere war unwichtig.
»Stimmt«, antwortete er deswegen, machte einen Schritt zur Seite, fischte sich aus dem Regal an der Kasse noch einen fettarmen, zuckerreduzierten Bio-Getreideriegel und legte ihn zu den anderen Sachen aufs Band. »Jetzt hab ich alles.«
»So, Herr Kluftinger, wie sieht’s aus? Sind Sie noch zu retten, oder sollten Sie sich besser keene Langspielplatte mehr kaufen?«
Sandy Henske empfing den Kommissar grinsend auf dem Korridor der Kemptener Kriminalpolizeiinspektion. Unmittelbar darauf traten auch Strobl, Hefele und Maier aus ihren Büros.
»Und, hat dich der Doktor gelobt, weil du heut Mittag so gesund gegessen hast?«, gluckste Eugen Strobl. Von Besorgnis war bei seinen Kollegen keine Spur zu erkennen.
»Redet doch nicht so saudumm daher! Habt’s ihr keine Arbeit?«, bellte Kluftinger sie an.
»Ich muss wirklich sagen: Hört auf, den Chef so zu foppen!«, sprang Maier ihm bei. »Auch psychosomatische Erkrankungen oder Erschöpfungszustände sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen! Ich stand vor einem halben Jahr auch ganz knapp vor einem Burn-out – aber das habt ihr unsensiblen Rüpel ja nicht gemerkt!« Seine Stimme wurde brüchig. »Nur die Sandy hat damals ein offenes Ohr für mich gehabt!« Er warf der Sekretärin einen dankbaren Blick zu, dem diese jedoch betreten auswich.
»Richie, ich kann mich schon selber verteidigen«, sagte Kluftinger emotionslos, »aber trotzdem danke.«
Maier hob die Arme und ging wortlos in sein Büro zurück.
»So, Roland, wie schaut’s mit den Flugdaten aus?«
»Also: Zur fraglichen Zeit gab es genau einen Überflug einer Passagiermaschine, die tief genug war, dass man sie hätte hören können: Die King Air 285 aus Wien im Anflug auf den Flughafen Friedrichshafen. Das Gebiet lässt sich auf etwa zehn Kilometer eingrenzen, zwischen Immenstadt und Thalkirchdorf, also Richtung Oberstaufen.«
»Hm … ein bissle genauer geht’s nicht?«
»Anscheinend nicht. Aber sagst du mir jetzt mal, was das genau soll? Warum willst du das denn so genau wissen?«
»Himmelarsch, weil man genau an dem Ort, wo dieses Flugzeug drübergeflogen ist, einen Menschen umgebracht hat«, platzte Kluftinger heraus. »Ob ihr mir das jetzt glaubt oder nicht. Ich find die Leiche, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.« Kluftinger erschrak selbst über seine Worte, die durch seinen Arztbesuch so ungewollte Brisanz erhalten hatten, und schob nach: »Ihr wisst schon, was ich meine.«
»Bitte, du bist ja der Chef hier«, lenkte Hefele ein. »Wir müssen wahrscheinlich auch nicht alles verstehen, was in deinem Hirn so vor sich geht. Aber
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