Herzblut: Kluftingers neuer Fall (German Edition)
gemerkt, dass es der Herr Hübner war.«
»Was hat er denn gesagt?«
»Nur, dass er nicht weiß, wer geklingelt hat. Ich hab ihm gesagt, dass ich es nicht war und dass bei mir auch immer mal wieder Leute Klingeln putzen. Mit den ganzen Wirtschaften hier in der Nähe – da kommen viel Leut vorbei, oft so Burschen, die einen über den Durst getrunken haben. Die Jugend halt!«
»Genau genommen haben Sie ihn also nur gehört?«
Lechner stutzte. »Genau genommen: ja.«
»Haben Sie denn jemanden vor dem Haus gesehen, als Sie vom Gassigehen zurückgekommen sind?«
»Nein. Das heißt, na ja, ein Stückle weiter, da ist so ein Pärchen gestanden und hat so … also halt so rumgeknutscht. Aber die waren das nicht, die haben was anderes im Kopf gehabt als Klingelputzen!«
Lechner zwinkerte dem Kommissar zu.
»Könnten Sie die beiden beschreiben?«
Lechner schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Es war ja mitten in der Nacht.«
»Wohnen die auch da?«
»Nein, der Hübner und seine Freundin waren das einzige Pärchen, das hier ein und aus ging. Also, junge Pärchen. Jemand, der nachts noch rumknutscht, Sie verstehen.«
Kluftinger bedankte sich, stieg aus dem Auto und ging wie ferngesteuert zu seinem Passat. Er musste jetzt erst einmal allein sein.
Es war anders als sonst. Die Stimmung in Kluftingers Büro war gedrückt, seit ein paar Minuten schon hatte keiner etwas gesagt. Diese Tat hatte offensichtlich bei allen Spuren hinterlassen. Nicht nur wegen ihrer unfassbaren Brutalität. Sie hatten schon viel gesehen, so war es nicht. Aber Kluftinger hatte das Gefühl, dass hier eine Grenze überschritten worden war. Sollte etwas davon an die Öffentlichkeit gelangen, und das würde früher oder später passieren, stünden sie alle unter enormem Druck. Die momentane berufliche Belastung und sein angeschlagener Gesundheitszustand gingen eine Mischung ein, die für ihn langsam zum Problem wurde.
Er räusperte sich. Es war an ihm, etwas zu sagen, den Schrecken mit professionellen Floskeln zu überdecken, die es ihnen ermöglichten, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, und aus dem Unfassbaren einen Fall machten, den es zu lösen galt. Doch was sollte er nur wenige Stunden nach der Besichtigung eines solchen Tatorts sagen?
Während er nachdachte, starrte er auf eine Plastiktüte mit einem Streichholzheftchen darin. Es hatte sich in Hübners Briefkasten befunden, was seltsam war. Es passte zu der Reihe offener Fragen, die in ihren Köpfen herumschwirrten. Doch direkt weiter kamen sie damit nicht, denn es fanden sich weder Fingerabdrücke darauf noch ein Werbeaufdruck. Es war nichts als ein schwarzes Heftchen mit schwarzen Hölzern darin. Drei schwarzen Hölzern, um genau zu sein. Der Kommissar hatte das sichere Gefühl, dass es nicht zufällig im Briefkasten gelegen hatte.
»Also«, begann Kluftinger zögerlich, »wir müssen uns jetzt erst mal neu organisieren.« Organisieren, das war gut, das klang nach System, nach Überblick. »Richie, ich würde sagen, du kümmerst dich um den Abschluss der Akten von dem Taximord, das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Vor allem, weil wir da ja schon so gut wie fertig sind.«
Maier sah auf. »Ich?« Es war ihm anzumerken, dass er mit dieser Aufgabe nicht zufrieden war.
»Ja, du. Du stehst ja mit der Presse in engem Kontakt deswegen.«
Ein leises Lachen der Kollegen. Der erste Schritt zurück zu ihrem Alltag.
»Roland und Eugen … ihr schaut euch schon mal die persönlichen Unterlagen des Toten an, die wir aus der Wohnung mitgenommen haben, ja?« Sie nickten. »Vielleicht finden sich schon Anhaltspunkte, bis die ersten Ergebnisse der Befragungen vom E-Zug mit den Angaben der Hausbewohner eintrudeln.«
Kluftinger war ganz froh darüber, dass sie zur Unterstützung den Einsatzzug bekommen hatten, so blieb ihnen noch ein bisschen Zeit, sich und die Dinge zu sortieren. »Der Böhm will heute noch was schicken, der obduziert im Laufe des Tages. Und der Willi ist schon an der Auswertung, denke ich.«
Die Beamten erhoben sich wortlos und verließen den Raum. Die Stille, die sie hinterließen, war für Kluftinger körperlich spürbar. »Fräulein Henske«, rief er deswegen seine Sekretärin.
»Ja, Chef?« Sie streckte den Kopf zur Tür herein.
Er sah sie an und überlegte, was er ihr sagen könnte.
Nach einer Weile nickte sie nur und lächelte. »Is schon gut, Chef.« Dann zog sie die Tür wieder zu.
Eine Viertelstunde später – Sandy hatte ihm noch einen
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