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Herzen aus Gold: Roman (German Edition)

Herzen aus Gold: Roman (German Edition)

Titel: Herzen aus Gold: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona McIntosh
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kleine Chance, dass Jack zu Rupert und John Drake durchgekommen ist.« Ihr Gesicht zeigte jetzt eine Mischung aus Verwirrung und Freude. Er biss sich auf die Unterlippe, dann beschloss er, ihr alles zu sagen, was er gehört hatte. »Aber Iris: Das ist alles nur Spekulation«, warnte er sie, als ihr Lächeln strahlender wurde.
    Sie umarmte ihn. »Jack wird ihn unversehrt nach oben bringen, Ned. Da bin ich mir sicher. Jack wird mich nicht enttäuschen.« Sie drehte sich um und ging, von neuer Hoffnung beflügelt, zu ihrem Vater zurück, um ihm bei der Versorgung der Verletzten zu helfen.
    Ned starrte ihr hinterher. In seinem Inneren öffnete sich ein gähnender Abgrund. Iris war in Jack verliebt – er hatte zu lange gezögert, um sie für sich zu gewinnen … und jetzt war es zu spät.
    Wieder versuchte Jack, seinen Verstand auszuschalten. Rupert hatte den letzten Rest an Kraft aufgeboten, um sich festzuhalten, und sie hatten begonnen, die Leitern mühsam, Schritt für mörderischen Schritt, hinaufzusteigen.
    So mancher kornische Bergmann war einfach vor Erschöpfung tot umgefallen, erinnerte sich Jack. Er wusste, dass er kurz davor stand, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Er war völlig erschöpft, hatte Schmerzen, blutete, und er hatte Angst. Das durfte er Rupert jedoch nicht zeigen, schließlich wagte er es sich selbst kaum einzugestehen, also konzentrierte er sich allein und ausschließlich auf das Bier, das er sich selbst versprochen hatte, auf das Bier und auf die Freude der Familie Walker.
    Rupert schwieg, aber Jack konnte sein angestrengtes Atmen hören.
    Schließlich hielt er inne. »Ich habe keine Ahnung, wie weit wir inzwischen sind.«
    »Knapp über zweihundert Sprossen. Wir haben also mindestens dieselbe Anzahl noch vor uns. Vielleicht sogar mehr.«
    Jack stöhnte. »So genau habe ich es gar nicht wissen wollen.«
    Er setzte sich wieder in Bewegung. Die ersten zwanzig oder dreißig Sprossen waren am schwierigsten, da er erst wieder seinen Rhythmus finden musste.
    »Sing etwas mit mir, Rupert.«
    »Sei nicht albern.«
    »Nun komm schon. Hier hört dich doch keiner.«
    »Keine Kraft.« Rupert lachte freudlos. »Nimmst du auch Wünsche entgegen?«
    »Was kriege ich denn dafür?«
    »Eine Rupie. Aber nur, wenn du das Lieblingslied meiner Mutter singst.«
    »Dann sag mir, wie es heißt«, erwiderte Jack und fürchtete schon, es könnte eines jener Al-Jonson-Stücke sein, die er so sehr hasste.
    »›What’ll I do‹«, sagte Rupert.
    Jack kannte das Lied, und er mochte es. »What’ll I do«, begann er mit sehr müder, erschöpfter Stimme. Man konnte es kaum Gesang nennen, aber es würde bestimmt seinen Zweck erfüllen. Er war überrascht, als Rupert trotz seiner schwindenden Kraft einstimmte.
    Und so schleppten sie sich, zwei verwundete Soldaten, Irving Berlin vor sich hin summend, weitere zweihundertfünfundvierzig Sprossen aus dem dunklen, trostlosen Schlachtfeld in die stille Morgendämmerung des Überlebens hinauf.
    Die Atmosphäre, die die Walkers umgab, war so trübe und undurchdringlich wie dichter Nebel geworden. Ned nahm den Kummer der Familie fast körperlich wahr. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass ihm der Kiefer wehtat. Schon lange hatte sich beklommenes Schweigen über sie alle gesenkt. Es gab einfach nichts mehr zu sagen. Hatte die Familie noch vor einiger Zeit einander im Arm haltend beieinandergestanden, gebetet und sich gegenseitig versichert, dass Rupert gerettet werden würde, so standen die Walkers jetzt zwar immer noch beieinander, aber sie berührten sich nicht mehr, so als schmerzte sie bereits der geringste Körperkontakt.
    Iris war untröstlich. Sie hatte sich völlig von Ned zurückgezogen und suchte jetzt mehr die Nähe ihres Bruders Jim und ihrer Mutter. Flora hantierte weiter stumm mit Tassen und Zuckerschälchen, mit Teelöffeln und Milchkännchen, aber jeder, der sie sah, wusste, dass sie gar nicht mitbekam, was sie da überhaupt tat. Ihre Mundwinkel hingen untypisch nach unten. Ihre Haare, die normalerweise zu einem ordentlichen Knoten aufgesteckt waren, sahen zerzaust und wirr aus, silberne Strähnen hatten sich gelöst. Sie schien in einer einzigen Nacht um zehn Jahre gealtert zu sein.
    Auch wenn Ned der Familie Walker sehr nahestand, kam er sich wie ein Eindringling vor – ein Beobachter, der zwar über sie wachte, aber eben doch nicht zu ihnen gehörte. Wieder war da dieses Gefühl des Alleinseins, das Ned schon so oft gequält hatte. Er stand nur ein paar

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