Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
Walkers heute Abend ein kleines Fest – vielleicht hatte Geraldine ihrer Familie endlich ihren neuen Verehrer vorgestellt, oder, was wesentlich wahrscheinlicher war, Rupert hatte endlich sein Zimmer verlassen, und man hatte seine Verlobte eingeladen, damit sie Iris kennenlernte. Jack tat es aufrichtig leid, dass er Rupert seit ihren gemeinsamen Tagen im Krankenhaus nicht mehr gesehen hatte, aber er bezweifelte doch sehr, dass er bei den Walkers jemals wieder willkommen sein würde. Das spielte aber auch keine Rolle. Seine Isolation war Garant dafür, dass er stark und unabhängig blieb, das zumindest redete er sich immer wieder ein.
Langsam gab er Gas und fuhr in die Dunkelheit davon. Den Scheinwerfer schaltete er erst wieder ein, als er das Grundstück der Walkers weit hinter sich gelassen hatte.
Am Samstagvormittag sah Iris zufällig einen Koffer durch und fand darin ein Abendkleid, das sie völlig vergessen hatte. Sie hatte es sorgfältig in einen Kopfkissenbezug eingepackt, und jetzt fi el es in seiner ganzen hellrosa Pracht heraus. Letzten Sommer waren der tiefe runde Ausschnitt und die kurzen Ärmel in London große Mode gewesen, und sie hatte viele Abende damit verbracht, ihre Einsamkeit mit Nähen erträglicher zu machen. Das Talent dafür hatte sie von ihrer Mutter geerbt.
Iris’ ausgezeichnetes Gedächtnis erlaubte es ihr, Kleider, die sie in einem Schaufenster oder in einer der Zeitschriften ihrer Arbeitgeberin gesehen hatte, zu kopieren. Da es kaum etwas gab, wofür sie ihren kärglichen Lohn sonst hätte ausgeben können, hatte sie eben Stoffe gekauft. Auch hatte sie, wenn ihre Arbeitgeberin ihr als seltenen Beweis ihrer Gunst ein abgelegtes Seidenkleid oder einen alten Schal angeboten hatte, niemals abgelehnt. Und so kam es, dass Iris über eine kleine, aber durchaus exquisite Kollektion von Kleidern der neuesten Mode verfügte.
Dieses Kleid würde bei dem Tanz mit Sicherheit großes Aufsehen erregen, denn es war für hiesige Verhältnisse sehr gewagt. Die jungen Frauen in KGF trugen noch immer Teekleider aus Baumwollspitze. Der schmale Schnitt und der lockere Fall des Kleides passten perfekt zu Iris’ knabenhafter Figur. Sie erinnerte sich an die vielen Stunden, die sie damit verbracht hatte, das exquisite schimmernde Perlenmuster aufzusticken. Es waren aber vor allem die Farbe und die kostbare Seide, die am meisten ins Auge stachen. Sie hatte das Kleid aus einem fantastischen chinesischen Seidenmorgenmantel geschneidert, den man ihr geschenkt hatte. Aus Angst, ihre Arbeitgeberin könnte ihr Geschenk zurückverlangen, wenn sie sah, was sie daraus gemacht hatte, hatte sie es nicht gewagt, das Kleid tatsächlich zu tragen.
Iris suchte in ihrem Koffer nach dem dazugehörigen langen Schal aus rauchgrauem, fast transparentem Seidenchiffon, den sie sich locker um den Hals drapieren würde, so dass ihr die Enden über den Rücken fielen. Dazu wollte sie sich von ihrer Mutter die lange Perlenkette mit den passenden Ohrringen ausleihen.
Wie aufs Stichwort betrat Flora Walker das Zimmer. »Iris, meine Liebe, ich habe deinem Bruder dahl und Pfefferwasser mit Reis versprochen, aber leider ist kein Asant mehr im Haus. Außer dir ist niemand da, den ich losschicken könnte, um es zu besorgen.« Sie sah sie bittend an.
»In Ordnung, ich werde gleich gehen. Könntest du das hier in der Zwischenzeit zum Lüften raushängen?«, fragte sie und schüttelte das Kleid ganz aus dem Kopfkissenbezug.
»Jetzt sag bloß nicht, dass du das hier anziehen willst! Das sieht ja aus wie ein Unterkleid.«
»Mum, in London ist das die neueste Mode.«
»Wir sind aber nicht in London. Du wirst darin aussehen, als wärst du nackt.«
»Ich werde darin einfach umwerfend aussehen.«
Flora lächelte, und der Seufzer, den sie ausstieß, sagte: Natürlich wirst du das . Aber dieser Augenblick ging schnell vorbei. Iris sah, wie der Mund ihrer Mutter entschlossen zuckte, und wusste, dass sie gleich etwas Wichtiges sagen würde.
»Iris, bitte zögere die Sache mit Ned nicht noch länger hinaus. Hast du schon eine Entscheidung getroffen?«
»Ich habe ihm bis heute Abend eine Antwort versprochen. Bitte dräng mich nicht, Mum. Ich will mir selbst ganz sicher sein und mich nicht nur deshalb für Ned entscheiden, weil du und Dad – wie anscheinend jeder andere – ihn heiß und innig liebt.«
»Jemanden zu haben, der dich so sehr liebt wie er, ist ein wirkliches Privileg, mein Kind. Verspiel das nicht.«
»Ich weiß. Aber für mich
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