Herzen aus Gold: Roman (German Edition)
nicht an der Front, aber ich kenne niemanden, der ihm vorwirft, ein Feigling zu sein.«
»Lass uns einfach gehen«, sagte Jack. »Ich werde Billy später die letzte Ehre erweisen.«
Jenner sah Jack mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Hilflosigkeit an, aber Jack sagte nichts mehr.
Sein Vater warf Jenner einen letzten bösen Blick zu. »Das werde ich dir nicht vergessen«, murmelte er leise, als er mit schweren Schritten den Friedhof verließ.
Unsicher, was er sagen sollte, eilte Jack seinem Vater hinterher und fragte sich dabei, warum sie nicht den Hügel hinauf und nach Hause gingen, sondern einen Umweg in Richtung Meer einschlugen.
»Begleite mich«, war alles, was Charles Bryant zu seinem Sohn sagte. Jack schwieg, verwirrt und aufgeregt, weil ihm sein Vater so unerwartet zur Seite gestanden hatte.
7
Als sie den Rand der Klippe erreichten, überraschte sein Vater ihn erneut, als er seinen Mantel auszog, ihn zusammenlegte und seinen Hut daraufwarf. Dann breitete er sein gestärktes Taschentuch auf dem Boden aus und nahm darauf Platz, wobei er sorgfältig darauf achtete, seine Bügelfalte nicht zu zerdrücken. Wie alle anderen Männer der Familie war Charles hochgewachsen und hatte breite, starke Schultern. Jetzt jedoch fiel Jack zum ersten Mal auf, dass diese Schultern ein klein wenig nach vorn gebeugt waren. Wie seltsam, dass er das bis heute nicht bemerkt hatte, genauso wenig wie ihm die Linien aufgefallen waren, die sich unter den Augen seines Vaters eingegraben hatten. Das vor einiger Zeit noch wenige Grau an Charles’ Schläfen hatte sich plötzlich über den ganzen Kopf ausgebreitet und machte ihn damit wesentlich älter, als Jack ihn in Erinnerung hatte. Wie hatte ihm all das nur entgehen können?
Er nahm neben seinem Vater Platz. Schweigend saßen sie Schulter an Schulter da. Es war, soweit Jack sich erinnern konnte, das angenehmste Schweigen, das sie je miteinander geteilt hatten.
Aufs Meer hinauszusehen war Balsam für seine Seele. Das Wasser besaß eine geradezu magische Schönheit, wechselte von einem Saphirblau an den tieferen Stellen bis hin zu einem l euchtenden Smaragdgrün am sandigen Ufer der kleinen Buch t, wo es sich schließlich schäumend an den Felsen brach und hell im Sonnenlicht glitzerte.
»Ich bin als Junge oft hierhergekommen und habe von den Ländern geträumt, die hinter Land’s End liegen«, sagte sein Vater plötzlich und holte Jack damit in die Gegenwart zurück. »Meistens war ich mit Jim Jenner hier. Wir hatten warme Pasteten in unseren Taschen und malten uns aus, was wir alles von der Welt sehen würden, wenn wir einmal erwachsen wären.«
Jack konnte kaum glauben, dass sein stets so verschlossener und ernster Vater jemals so bunte, kühne Träume gehabt hatte. »Wie alt warst du damals?«
Sein Vater seufzte, dann lächelte er tatsächlich. »Ungefähr sechs, glaube ich. Wir stellten uns vor, Piraten zu sein – aber keine, die in Ufernähe gestrandete Schiffe plünderten. Nein, wir stellten uns vor, wir wären tapferer und mutiger.«
»Edle Piraten, gewissermaßen«, schlug Jack vor, worauf das Lächeln seines Vaters noch ein wenig breiter wurde.
»Ja, edel und gut. Wir wollten nur die Schiffe reicher Kaufleute aus Spanien oder Italien überfallen, die kamen, um in Cornwall einzufallen. Und wir würden unsere Familien reich machen, bevor wir uns aufmachten und zu fernen, exotischen Häfen segelten.«
»Kaufleute, die gleichzeitig als Invasoren kamen!«
»Ich war damals noch ein kleiner Junge. Mit acht musste ich dann schon mit meinem Vater und meinem Onkel unten in den Minen schuften. In jenen Tagen arbeiteten wir noch drüben in South Crofty.«
Jack hatte das bereits von seinem Großvater gehört. Mit seinem Vater hatte er jedoch noch nie über diese Zeit gesprochen. »Und was war mit der Levant-Mine?«
»Dahin sind wir so um 1870 gezogen.«
»Dann ist dein Onkel Jamie also dort umgekommen?«
Sein Vater holte angesichts dieser Erinnerung tief Luft. »Nein, Onkel Jamie ist schon im Winter 1869 in South Crofty gestorben. Zwei Tage vor Weihnachen.«
Jack erinnerte sich in groben Zügen an die Geschichte, Einzelheiten kannte er jedoch nicht. Er wusste nur, dass Charles’ Vater, nachdem James Bryant bei einem Grubenunfall ums Leben gekommen war, das kleine Cottage seines Bruders geerbt hatte, das auf einem Stück Land an der Küste stand.
Charles unterbrach Jack in seinen Erinnerungen. »›Hol deinen Jungen aus der Mine raus‹, hat Onkel Jamie deinem
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