Herzen aus Stein (German Edition)
stutzen oder sie ihm ganz zu nehmen. Er besaß als Einziger das Wissen, wie man die Schwingen fachgerecht vom Körper trennte, damit sie nie wieder nachwuchsen. Bei dem Gedanken erschauderte sie.
Am Ende des Geländers blieb sie stehen und hüpfte auf den Ba l kon. Sie blinzelte die untergehende Sonne an, deren letzte Strahlen soeben hinter dem Dach des Gebäudes verschwanden, das dem Midland Grand Hotel gegenüberlag. Seltsamerweise hatte Kara das Gefühl, von dort aus beobachtet zu werden. Sie konnte sich auch gut vorstellen, von wem, denn sie hatte das Aufflackern einer dunklen Präsenz gespürt. Daher hatte sich Kara nicht erst bemüht, sich für dämonische Augen unsichtbar zu machen. Ash konnte sie ebenso spüren wie sie ihn. Außerdem wusste er, wo sie wohnte. Er wollte die Uhr und wartete bestimmt auf eine Gelegenheit, sie sich zu schnappen.
Kara konzentrierte sich. Sie besaß eine mentale Verbindung zu i h rem ehemaligen Mentor. Sie musste nur fest an ihn denken, damit Raffi sie erhörte.
Würde sich Ash auf den Erzengel stürzen, sobald er sich zeigte? Setzte sie Raphael womöglich einer Gefahr aus, wenn sie ihn herbe i rief? Ash wollte unbedingt an ihn herankommen. Vielleicht war es genau das, was Ash beabsichtigt hatte? Er hatte Kara so neugierig gemacht, dass er wusste, sie würde mit Raphael reden wollen.
Erste Engelregel: Traue nie einem Dämon.
Doch Ash war nicht wie der Dämon, dem sie einst ge opfert wo r d en war und er kannte Raffi. Das deutete sie als gutes Zeichen. A u ßerdem hatte sie, als Ash vor ihren Augen starb, seine sanfte Seite gesehen.
Kara musste Raphael trotzdem gleich warnen. Sicher war sicher. Sie schickte ihm die Botschaft mit, dass er mit einem Dämonenangriff rechnen musste. Noch ehe sie zu Ende gedacht hatte, materialisierte er sich schon.
Raphael stand vor ihr in der Luft, ihr den Rücken zugewandt, um sie mit seinen mächtigen Flügeln abzuschirmen. Sie machten wie immer kaum ein Geräusch, während sie sich majestätisch bewegten.
„ Bist du in Gefahr? “ , fragte er über seine Schulter, um den Blick gleich wieder über die Straße unter ihnen und den vorbeifahrenden Verkehr gleiten zu lassen.
„ Vielleicht. “
Raphael sah dermaßen alarmiert aus, dass ihr Herz heftig klopfte. Zudem hatte sie sein plötzliches Auftauchen erschreckt. Er konnte sich verdammt schnell fortbewegen.
„ Ich bin, glaube ich, nicht in Gefahr, aber ein Dämon möchte die Uhr. “
Raphael drehte sich um und stellte sich auf das Geländer. Der Ba l kon war so schmal, dass er sich mit einer Hand an einer der schla n ken Säulen festhalten konnte, die die Balkontüren zierten. Dann legte er seine Schwingen am Körper an.
„ Du hast die Uhr? Aber ich habe sie dir doch noch gar nicht gege… “ Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „ Moment, du hast die Uhr benutzt! “ Seine Augen blitzten, als er einen Schritt auf dem schmalen Geländer auf sie zumachte, sodass Kara beinahe durch ihre geöffnete Tür ins Zimmer gestolpert wäre. „ Kara, die Sanduhr ist nur für die Hexe bestimmt! “
„ Das weiß ich ja! “ Schuldgefühle nagten an ihr. Sie wollte Raphael nicht erzürnen und eigentlich kannte sie ihn nicht wütend. Im M o ment sah er allerdings alles andere als erfreut aus. Er stieß sich von der Mauer ab und flog unruhig vor dem Balkon auf und ab, die Hände in die Seiten gestemmt. Auch heute trug Raphael einen teuren Anzug und wie immer war der Stoff unversehrt, obwohl seine Schwingen aus dem Jackett herausragten. Wie machte er das nur?
„ Welcher Dämon ist hinter dem Artefakt her? “ , fragte er.
Raphael musste lauter sprechen, weil auf der Straße ein Hupko n zert veranstaltet wurde. Ein ausparkendes Auto forderte die Geduld der Menschen heraus, die nach einem anstrengenden Arbeitstag schnell nach Hause wollten.
„ Sein Name ist Ash. “
„ Ash? “ Abrupt geriet Raphaels Flügelschlag aus dem Takt. Sein Gesicht schien so weiß wie die Verzierungen aus Kalkstein zu we r den, die einen Kontrast zur roten Mauer des Hotels bildeten. Als er sich wieder zu Kara auf den Balkon stellte, fragte er: „ Schwarze Ha a re, blaue Augen, charismatische Ausstrahlung? “
Kara nickte. Verteufelt charismatische Ausstrahlung.
Seine Hand, mit der er sich an der Säule festhielt, zitterte. „ Du hast ihn gesehen? “
Nicht nur gesehen. Besser, Raffi kannte keine Details. An seinem fassungslosen Ausdruck konnte sie ablesen, dass er über Ash bestens Bescheid wusste. „ Wer ist
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