Herzen aus Stein (German Edition)
bekam er seine Seele nicht plötzlich zurück. Oder? Diese Zeitreiseproblematik machte ihm echt zu schaffen.
Nachdem ihn seine Gedanken und die bedrückende Dunkelheit der Unterwelt fast wahnsinnig gemacht hatten, beschloss Ash, noch einmal bei Kara vorbeizuschauen. Sie wollte ihn bestimmt nicht mehr in ihrer Nähe haben, aber er musste zu ihr. Alles zog ihn zu ihr hin. Sie durfte seinetwegen nicht traurig sein. Das sollte er gerad e biegen und sich mit Anstand von ihr verabschieden, ihr das Artefakt lassen – und dann würde er weitersehen. Also erschuf er ein Portal von seinem Wohnloch direkt in ihr Zimmer. Er blinzelte ein paa r mal, bis er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, weil es hier oben Tag war, und sah sich um. Doch Kara war nicht da. Was hatte er erwa r tet? Dass sie auf ihn wartete? Sie hatte als Engel Aufgaben zu erled i gen.
Ash ging zur Kommode, wo der Bilderrahmen gestanden hatte, den er zerstört hatte. Er war weg. Kurzerhand zog er die große Schublade auf und fand – neben weißen Baumwollschlüpfern – die Bilder. Ihr Anblick versetzte ihm einen Stich in sein schwarzes Herz. Kara sah darauf glücklich aus. Ihr musste viel an dem jungen Mann liegen.
Mal sehen, was sie noch alles zwischen ihrer Unterwäsche ve r steckt, dachte Ash grimmig und wühlte in der Schublade herum, obwohl er sich dabei nicht wohlfühlte. Er konnte bloß hoffen, dass Kara nicht plötzlich wirbelwindartig auftauchte und ihn überraschte. Dann hätte er es endgültig mit ihr verscherzt. Wenn er das nicht ohnehin schon hatte.
Er fand weitere Bilder in Passfotogröße. Auf manchen war nur der Schönling zu sehen, auf anderen Kara. Ohne lange zu überlegen, nahm er ein Bild von seinem Engelchen und steckte es sich in die Hosentasche. Anschließend legte er alles wieder an seinen Platz und schob die Schublade zu.
Ob sich Kara irgendwo im Gebäude aufhielt? Er würde sie suchen. Vorsichtig öffnete er die Tür und streckte den Kopf in den langen, düsteren Gang. Alles war ruhig und schien verlassen. Weil er keine Gefahr witterte, schritt er hinaus und beschloss, sich durch alle Stockwerke vorzuarbeiten. Sobald Kara in der Nähe war, würde er sie spüren und finden.
Er schlich durch das Hotel, wobei er sich wie ein einsamer Geist vorkam. Seine Schritte wirbelten Staub auf, hinterließen jedoch kaum ein Geräusch auf dem Teppichboden. Dafür klopfte ihm sein Puls hart in den Ohren. Zu wissen, dass er Kara nahe sein konnte, ohne ihr zu schaden, trieb ihn schneller voran. Wo war sie nur, verdammt? Und warum wohnte sie in diesem verlassenen Gebäude?
Er versuchte es in den oberen Stockwerken und stieg das gigant i sche Treppenhaus hinauf. Hier war überhaupt alles sehr ausladend. Hohe Decken, endlos lange Flure, Stiegen mit kunstvoll geschmied e ten Geländern. Das hier war ein faszinierendes Haus. Die Wände waren mit teuren Tapeten ausgekleidet oder in demselben kräftigen Rot gestrichen wie die Ziegeln der Außenmauer. Zahlreiche Orn a mente, Säulen oder Stuckarbeiten rundeten das Bild ab. Der Erbauer hatte einen außergewöhnlich guten Geschmack. Die Zimmer in den oberen Stockwerken waren abgeschlossen. Ash zog mit der Finge r kuppe einen Kreis von etwa dreißig Zentimeter Durchmesser auf eine Tür. Es kribbelte in seiner Fingerspitze, als seine dämonische Energie hindurchfloss und er sich wünschte, der Durchgang möge sich in dem Raum öffnen. Ein kleines Portal materialisierte sich, gleich einem Guckloch. Jetzt hatte er einen wunderbaren Blick hi n ein und sein Atem stockte.
Riesige Steinfiguren saßen in einer Reihe an der Wand, als hätte man sie einfach dort abgestellt. Sie zogen schreckliche Fratzen oder zeigten ihre Krallen. Ash wusste sofort, dass es sich bei diesen Kre a turen um Gargoyles handelte. Er konnte ihren Herzschlag hören.
Befand er sich etwa in deren Nest? Da Kara hier wohnte, war sie wohl der Schutzengel der Gargoyles, die in diesem Hotel lebten. Ash hatte keinerlei Interesse an diesen Geschöpfen – Ceros hingegen schon. Wenn sein Herr von dieser Unterkunft wüsste, würde er b e stimmt den einen oder anderen Gargoyle, vielleicht alle, entführen, um sie zu seinen Sklaven zu machen. Nur um sie zu demütigen. Ceros hasste diese Wesen, weil sie die Menschen beschützten, auch vor Dämonen.
In der Unterwelt herrschte ewige Finsternis, dort gab es weder Tag noch Nacht. Diese Wesen spürten so tief unter der Erde die Strahlen der Sonne nicht. Sie würden dort niemals zu Stein werden und
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