Herzen aus Stein (German Edition)
Es reichte, Noirs vertrauten Duft zu riechen, um zu wissen, dass es ihr gut ging. Er besaß nur ein etwas schärferes Aroma, weil Noir nervös war. Wäre sie krank oder ve r letzt, würde sie einen anderen Geruch verströmen. Vincent konnte mittlerweile die feinsten Nuancen ihres Stimmungszustandes unte r scheiden.
Er kroch zu seinem Platz zurück, zog sein Handy aus dem Ruc k sack und schaltete es an, um nachzuschauen, wie spät es war. Kurz nach Mitternacht. Etwa eine Stunde hatte er in dem ungemütlichen, lauten und kalten Frachtraum verbracht, den Kopf auf seinen Ruc k sack gebettet. Zum Glück fror er in seiner Gestalt als Gargoyle nicht so leicht, denn der Frachtraum wurde nicht beheizt. Es waren schon Menschen gestorben, weil sie als blinde Passagiere mitgereist waren.
Aber er war ja kein Mensch, kein richtiger.
Vince hatte einen Anflug von Eifersucht verspürt, als der Magier die Funktionen des Geräts, das er Noir gegeben hatte, erklärt und sich die beiden umarmt hatten. Dennoch war Vince froh, dass Ma g nus für Noir da war, auch wenn er es nicht gern zugab. Hier in Paris hatte er seine Hexe hingegen ganz für sich. Allein dieser Gedanke schickte ein Kribbeln durch seine Nervenbahnen.
Er teilte per SMS seiner Bruderschaft den neuen Aufenthaltsort mit, wobei er sich schwer tat, mit den Krallen die Tasten zu treffen, und verstaute das Gerät wieder im Beutel. Vincent wusste jedoch, wohin er sich im Notfall wenden konnte. Er kannte die Standorte der meisten Bruderschaften. In Paris gab es eine größere Gruppe Gargoyles, die in der Kathedrale Notre Dame ihr Quartier bezogen hatten. Falls sich Noir länger hier aufhielt, würde er seine französ i schen Brüder und Schwestern aufsuchen müssen, um sich von ihnen seine Tabletten zu holen. Sein Vorrat war fast verbraucht. Er tastete im Dunkeln nach dem kleinen Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing, und fühlte, dass sich vielleicht noch fünf Pillen darin befande n. Jeden Tag musste er eine nehmen, sie sicherten sein Überleben. Vi n ce wusste nicht, was das für Medizin war und woher seine Brüder diese bezogen. Er hatte so oft danach gefragt, aber nie eine richtige Antwort erhalten. Einmal hatte er versucht, die Pillen abzusetzen, aber schon nach einem Tag hatte er regelrechte Entzugserscheinu n gen bekommen. Wenn Noir einmal nicht mehr lebte, aus welchen Gründen auch immer, würde Vincent diese „ Medizin “ garantiert nicht mehr nehmen. Er war ohnehin der Einzige seiner Gattung, der darauf angewiesen war.
Im Moment war es ratsam, dass Amarante, die Klanführerin der P a riser Gargoyles, vorbereitet war. Er hatte sie, wie die anderen Klan obersten, noch nie persönlich gesehen, aber natürlich wusste er von ihnen. Die Gargoyle -Gemeinschaften waren weltweit vernetzt und tauschten Neuigkeiten aus. Früher ging das über Boten, heute gab es Telefone. Es existierten auch verfeindete Klans oder solche, die sich von den anderen abkapselten, aber zum Glück zählte der Pariser Notre-Dame-Klan nicht dazu.
Als die Maschine ausrollte, machte sich Vincent bereit, ungesehen aus dem Bauch des Flugzeugs zu kommen. Er wollte Noir keine Sekunde mehr aus den Augen lassen.
Magnus Thorne hatte für sie ein Zimmer in einem Hotel gebucht, so viel hatte Vincent noch mitbekommen. Er folgte dem Taxi, das Noir vom Flughafen in die Innenstadt brachte, erst auf dem Anhän ger eines Lkws , der in dieselbe Richtung fuhr, und später, indem er über die Dächer lief und von Haus zu Haus sprang.
Taxi parisien , leuchtete auf dem Schild, das auf dem Autodach des Renaults angebracht war. Das orange Licht darunter bedeutete, der Wagen war besetzt. Noir wechselte zwei Mal das Taxi und ließ sich im Kreis fahren, bevor sie in die Métro umstieg.
Vincent war noch nie in Frankreich gewesen. Er fühlte sich etwas nervös in einer Stadt, die er nicht kannte. Hier musste er sich wir k lich auf all seine Sinne verlassen. Paris roch anders als London oder Aberdeen. Der Boden roch anders, die Vegetation und sogar das Abwasser. Unter den Abgasen erschnüffelte Vincent den Duft von Baguettes und Croissants, die zahlreiche Bäckereien zu dieser frühen Uhrzeit backten. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, denn er hatte seit dem Vortag nichts mehr gegessen.
Weil zu dieser nächtlichen Stunde die Metro-Station verlassen war, folgte er Noir in den Bahnhof und versteckte sich in einer Nische zwischen zwei Fahrkartenautomaten. Ein beleuchtetes Schild auf der digitalen Tafel zeigte ein Uhr
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