Herzen aus Stein (German Edition)
mit einer Frau gehabt hatte, wusste er natürlich, was sich zwischen Liebenden abspielte. Er hatte drei Reihen hinter Noir im Kino gesessen, wenn sie sich die seltenen Male einen Film in der Öffentlichkeit angeschaut hatte. Vince hatte zudem auf seinen nächtlichen Streifzügen über die Dächer Liebespärchen beobachtet, indem er in Fenster gespäht oder auf Balkone geblickt hatte. Auch nachts im Park hatte er schon das eine oder andere Paar überrascht. Theoretisch wusste er, was er zu tun hatte, und das Verlangen, sein Wissen in die Praxis umzusetzen, wurde immer stärker. Wenn es nicht bald passierte , und das würde es natürlich nicht, musste Vince doch noch das tun, was er niemals wollte: sich eine Gefährtin seiner Art suchen.
Schon wieder hatte Noir das Gefühl, beobachtet zu werden. Das musste endlich aufhören. Sie wollte ein normales Leben führen, r u hig schlafen können und vor allen Dingen ein Heim. Am meisten fehlte ihr ein Ort, an den sie sich zurückziehen konnte, an dem sie sich geborgen fühlte und der ihr Sicherheit gab. Wenn sie so über die beleuchtete Stadt blickte und sich vorstellte, dass hinter den dunklen Fenstern Leute schliefen, die am nächsten Tag einem geregelten Leben nachgingen, erfasste sie ein schmerzhaftes Sehnen in der G e gend um ihren Solarplexus. Zu gern wollte sie ihr altes Leben zurück, viel lieber wieder die Schulbank drücken, studieren oder arbeiten, doch das war für immer vorbei.
In letzter Zeit fragte sie sich oft, was aus ihrer besten Freundin Jenna geworden war. Zuletzt hatten sie sich auf der Magierhauptversammlung in Maidstone gesehen. Noir wusste nur, dass Jenna immer Ärztin hatte werden wollen. Was würde sie selbst heute machen, wenn sie ihr Leben nicht der Dämonenjagd gewidmet hätte? Es war nicht so, als würden Hexen oder Zauberer nicht arbe i ten. Die meisten lebten normal unter den gewöhnlichen Menschen und gingen ebenso normalen Jobs nach. Magnus hatte eine Softwar e firma und an der Entwicklung von Geräten und Programmen für Überwachungssysteme gearbeitet. Seine Eltern hingegen waren in der magischen Welt zu Hause gewesen und viel gereist, immer auf der Suche nach neuen Zaubersprüchen, Heilkräutern oder Meth o den, wie sie am besten gegen Dunkelelfen vorgehen sollten – dem Feind Nummer eins der Hexen und Zauberer. Wenn sich Noir en t scheiden müsste, etwas anderes zu tun als den Höllenkreaturen den Garaus zu machen, würde sie bestimmt einen Job wählen, der beide Welten miteinander verband. Wobei sie eher zur magischen Seite tendierte.
Immer noch saß ihr dieses Kribbeln im Nacken. Sie holte das Smartphone, das Magnus ihr gegeben hatte, aus der Hosentasche und schaltete es an. Als sie die Satellitenüberwachung aktivierte, atmete sie auf, weil nichts Rotes aufleuchtete. Keine Dämonen in der Nähe. In einem Radius von zehn Metern sah sie nur einen blauen Fleck, das war wohl sie selbst, und gleich schräg hinter sich einen grünen. Grün?
Sie wirbelte herum, das Herz klopfte ihr bis in den Hals. Im schwachen Lichtschein, der durch die Tür auf die Terrasse fiel, e r kannte sie eine Batterie Blumenkübel, in denen Palmen, Gumm i bäume und andere Pflanzen wuchsen. Irgendwer befand sich dahi n ter, leider war es zu dunkel, um etwas zu erkennen. Mit einer g e schmeidigen Bewegung zog sie ein Messer aus ihrem Stiefel und blieb reglos stehen. Angespannt lauschte sie. Doch der Wind, der hier auf dem Dach um ihre Ohren pfiff, machte es unmöglich, zu hören, ob sich hinter den Pflanzen etwas regte. Jetzt, wo sie wusste, dass sich dort jemand oder etwas versteckte – bedeutete grün vie l leicht außerirdisch? –, bildete sie sich ein, einen großen Schatten zu sehen. Rot war ein Dämon, hatte Magnus gesagt, grün war … schon mal kein Dämon. Grün war eine gute Farbe, grün war … Ach ve r dammt, was, wenn es ein Dunkelelf war?
„ Zeig dich! “ , rief sie und machte einen Schritt auf die Pflanzen zu, bereit, wem auch immer das Messer mitten ins Herz zu schleudern. Nur mit Mühe zwang sie sich, genau das nicht zu tun. Sie musste endlich aufhören, überall das Böse zu sehen. Sie könnte Unschuldige töten. Nicht in jeder dunklen Ecke lauerte ein Monster.
Als plötzlich das Handy klingelte, hätte sie es fast fallen gelassen. Sie ging ran, ihr Puls klopfte wild, ihre Hand zitterte. Was war nur los mit ihr? So kannte sie sich nicht. Die Aussicht, bald dem Mörder ihrer Eltern und Jamies Entführern entgegenzustehen, machte sie
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