Herzen aus Stein (German Edition)
ausgewählt. Noir konnte mit den öffentlichen Verkehrsmitteln schnell zu der Adresse kommen, die in der Magierzeitung gestanden hatte. Vincent war jedoch äußerst unwohl bei dem Gedanken.
Es machte ihn diesmal aber nur leicht nervös, dass er Noir nicht in das ihm unbekannte Haus folgen konnte, denn er würde es tun, sol l te sie seine Hilfe brauchen. Aber seine Sinne registrierten keinen Grund zur Panik. Alles war still und roch normal, also musste er sich nicht in einen Menschen verwandeln. Auf eine Umwandlung, die während der Nacht mit unvorstellbaren Qualen verbunden war, hatte er ohnehin keine Lust. Daher kletterte er weiter an der Fassade hoch. Er schlug seine Krallen tief in die Wand, sodass Putz herabri e selte, und folgte Noir nach oben, indem er ihren Schritten lauschte, die in einem Treppenhaus widerhallten. Seine Sinne waren ganz und gar auf Noir geeicht.
Er sprang auf eine großzügige Dachterrasse, auf der zahlreiche Pflanzen und kleine Bäume, unter anderem Palmen, in riesigen Holzgefäßen standen, als in dem Zimmer auch schon das Licht a n ging. Erst als er Noir durch den Spalt in einem Vorhang sah und sie durch die angelehnte Balkontür riechen konnte, atmete er auf.
Vincent deponierte den Rucksack mit seinen Habseligkeiten hinter einem großen Blumenkübel, bevor er sich in eine dunkle Ecke hinter den Palmen zurückzog. Es war vorteilhaft, dass der Magier ein Hotel mit einem Dachgarten ausgewählt hatte; auf einem der winzigen Balkone hätte sich Vincent niemals verstecken können.
Die Tür ging auf und Noir trat auf die unbeleuchtete Terrasse. Sie verteilte in jeder der vier Ecken einen magischen Kristall, der etwa die Größe eines Hühnereis hatte. Dabei schritt sie einmal so dicht an Vincent vorbei, dass er befürchtete, sie könne ihn bemerken. Es kam selten vor, dass Noir ihm so nah war. Ihr Duft benebelte seine Sinne und raubte ihm den Atem.
Die Kristalle bauten, sobald sie in einer bestimmten Konstellation lagen, eine Art Schutzschild auf, den kein Dämon so schnell durc h dringen konnte. Dann leuchteten die Steine schwach. Ansonsten sahen sie wie gewöhnliche Quarze aus, wie Amethyste oder Achate. Zufrieden betrachtete Noir sie und stellte sich ans Geländer, um über die Stadt zu schauen. Vincent folgte ihrem Blick.
Die Aussicht von hier oben war atemberaubend. Unter ihnen lag der Park, zu ihrer Rechten leuchtete der Eiffelturm. Die Seine zog sich wie ein schwarzes Band durch Paris. Neben dem Park befand sich der Élysée-Palast und weiter hinten sah Vincent einen großen Steinpfeiler, einen Obelisken. Irgendwo links musste ein Bahnhof sein. Der Wind trug das Rattern eines einfahrenden Zuges und eine Lautsprecherdurchsage an seine Ohren.
Notre Dame befand sich etwas über zwei Kilometer entfernt. In der Nähe eines Klans fühlte sich Vincent gleich besser. So musste er keinen weiten Weg auf sich nehmen, um an seine Tabletten zu kommen. Das Hotel lag zentral, doch Noir war nicht hier, um die Pariser Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Was schade war. Vielleicht könnte Vincent in einem anderen Leben, in dem er kein Gargoyle war und eine Menschenfrau begehren dürfte, mit ihr hierherko m men , in die Stadt der Liebe.
Vincent musterte Noirs große, schlanke Gestalt, wobei ihn wieder der Drang befiel, einfach aus seinem Versteck zu kommen und sich ihr zu zeigen. Sie hatte ihren Umhang abgelegt und trug neben ihrer schwarzen Perücke einen dunklen Rollkragenpullover, der sich an ihren Körper schmiegte, sowie eine Hose in derselben Farbe. Sie musste sich im Flugzeug ihre Motorradkleidung ausgezogen haben. Sie sah zum Anbeißen aus.
Vincent bog einen Palmwedel nach unten, um sie noch besser e r kennen zu können. Wie sie am Geländer stand, so einsam und verl o ren … Am liebsten wollte er zu ihr gehen, einen Arm um ihre Schu l tern legen und sie an sich ziehen; wollte ihr sagen: „ Du bist nicht allein. “ Er verzehrte sich unendlich nach ihr. Er fuhr mit seinen Blicken ihre Konturen nach, die sich vor der beleuchteten Stadt a b zeichneten. Ein leises Grollen löste sich aus seiner Kehle und er schlug die Krallen in die Steinfliesen, um an Ort und Stelle zu ble i ben. Im Moment würde er in seiner Gestalt Noir nur erschrecken. Er wollte sie so sehr. Nicht bloß ihren Körper, nein, einfach alles und am meisten ihr Herz. Ihr kaltes Herz, das nur für die Rache schlug. Allerdings würde er schon wissen, wie er Noir unter sich zum Schmelzen bringen könnte. Auch wenn er noch nie etwas
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