Herzen aus Stein (German Edition)
sein, nur so konnte er sich diesen Zufall erklären. Magnus hatte Noir bestimmt keine Sekunde über Satellit aus den Augen gelassen. Wieso wusste der Zauberer über ihn Bescheid, Noir aber nicht? Das gab ihm ein ziemlich großes Rätsel auf.
Er dachte darüber nach, was sich vor zehn Jahren abgespielt hatte, als es galt, einen Kontrakt zu erfüllen: Eine Familie war ausgelöscht worden und nur eine Tochter hatte überlebt. Ihre Eltern hatten für solch einen Fall vorgesorgt und die Londoner Gargoyles gebeten, die Obhut für die zurückgebliebenen Kinder zu übernehmen. Kara, der Wächter-Engel der Londoner Gargoyles, hatte die Bruderschaft überredet, dass Vincent der Beschützer des Mädchens werden sollte. Weil er der einzige Gargoyle war, der Tag und Nacht über sie w a chen konnte. Schließlich verwandelte er sich nicht in Stein. Das Mädchen durfte niemals in die Hände der Dämonen gelangen, das war den Eltern das dringendste Anliegen gewesen. Vincent hatte die Spur der Kleinen aufgenommen, sie allerdings nicht finden können. Kara hatte ihm danach gesagt, sie wäre bei Magnus. Also war Vi n cent zum Zuhause des Zauberers – einem Schloss in Schottland – geeilt, wo er Noir tatsächlich noch angetroffen hatte. War es mö g lich, dass der Magier ihn damals irgendwie bemerkt hatte?
Ein Knurren ließ ihn aufhorchen. Es war allerdings nur sein M a gen, der sich beleidigt meldete. Vince musste endlich essen. Noir hatte das Hotelzimmer verlassen und war auf dem Weg nach unten. Also schlüpfte er hinein, die Schwingen eng am Körper angelegt, damit er nichts umwarf. Es war dunkel, aber er brauchte kein Licht. Praktisch, dass Noir nicht abgeschlossen hatte, aber wieso auch? Wenn ein Dämon sie aufspüren sollte, hielt ihn eine verschlossene Tür nicht auf, denn er brauchte nur ein Portal zu erschaffen. Alle r dings hatte Noir für diesen Fall vorgesorgt. Auch hier lagen ve r schiedenfarbige Kristalle in einer bestimmten Konstellation, die das Öffnen eines Dämonentors ins Hotelzimmer verhinderten.
Auf einem Tisch neben dem Fernseher fand er eine Obstschale. Noir würde bestimmt nicht merken, falls ein Apfel und eine Banane fehlten. Obwohl … Ihr entging eigentlich kaum etwas. Also zog er zwei Obststücke von unten hervor, sodass die Schale auf den ersten Blick unangetastet aussah. In der Minibar fand er eine Packung St u dentenfutter, die er sich in den Mund schüttete. Die leere Tüte en t sorgte er lieber unterwegs. Vincent sollte eigentlich mehr essen, denn ein Leben an Noirs Seite und die täglichen Verwandlungen ve r brauchten einiges an Energie, deshalb beschloss er, sich einen do p pelten Burger mit extra viel Fleisch zu holen, sobald Noir wieder im Hotel war und er sein menschliches Äußeres besaß.
Vince begab sich nach draußen und schaute über die Brüstung, um abzuwarten, wohin Noir ging. Wenn er sie bewachte, verließ er sich vollkommen auf seine Instinkte, Sinne und Reflexe. Dann verwa n delte er sich von dem beschützenden Gargoyle in einen Krieger. Nach dem Kampf, wenn sich sein Puls beruhigt hatte und er seine kleine Hexe, wie er sie liebevoll nannte, in Sicherheit wusste, war es wieder da, dieses Ziehen hinter dem Brustbein und in seiner Leiste n gegend. Jeder Kampf steigerte seine Libido und hinterließ ihn hun g riger als zuvor.
Als Noir ihn auf dem Dach beinahe entdeckt hätte, hatte er erns t haft mit dem Gedanken gespielt, sich ihr zu zeigen. Doch dann hatte er ihr Messer gesehen und war sich wieder bewusst geworden, was er für sie sein musste: ein Ungeheuer. Er hatte ihre Angst gespürt. Noir zeigte selten Angst, sie hatte ihre Gefühle gut unter Kontrolle. Sie hätte ihn ohne mit der Wimper zu zucken umgebracht. Also hatte er sich schweren Herzens zurückgezogen. Es war besser so. Tot nutzte er ihr nicht.
Vincent beobachtete von der Terrasse aus, wie Noir an der näch s ten Haltestelle in den Nachtbus stieg. Er folgte ihr über die Dächer, sprang im Schutz der Dunkelheit von Haus zu Haus, segelte über Straßen, Plätze und schmale Flüsse oder hetzte durch Parks. Er war wieder ihr Schatten, ihr dunkler Schutzengel. Er bestand nur noch aus seinen Sinnen und ließ sich von ihnen leiten.
Am Stadtrand stieg Noir in ein Taxi um und ließ sich zu einem ehemaligen Fabrikgelände bringen. Vince folgte dem Fahrzeug so unauffällig wie möglich. Außerhalb gab es weniger Häuser, dafür konnte er Abkürzungen über Felder nehmen oder sich ungesehen in einem vertrockneten Flussbett, das
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