Herzen aus Stein (German Edition)
parallel zur Straße lief, fortbew e gen. Als Noir ausstieg und das Taxi in der Nacht verschwand, raste Vincents Herz. Hier stand eine einsame Frau allein in der Dunke l heit, obwohl sie wusste, was für eine Gefahr sie erwartete. Sie musste verrückt sein!
Er würde so dicht wie möglich bei ihr bleiben, sie keine Sekunde aus den Augen lassen. Er kletterte aufs Dach eines Lagerhauses, während Noir über das Gelände schritt, in einer Hand eines ihrer Messer, in der anderen das Handy.
Noir stutzte. Da war er wieder, der grüne Punkt auf dem Display, ganz in ihrer Nähe. Wie hatte ihr Magnus’ Bodyguard folgen kö n nen? Oder handelte es sich doch um ein Tier? Gut, es gab hier b e stimmt viele Streuner, dennoch fand sie das seltsam. Aber sie ve r traute auf Magnus’ Worte und darauf, dass er nie etwas tun würde, was ihr schadete, und konzentrierte sich auf die drei roten Signale, die an derselben Stelle wie zuvor aufleuchteten.
Der Taxifahrer hatte Noir in einem entlegenen und stillgelegten Industriegebiet abgesetzt und gedacht, sie habe ein heimliches Re n dezvous mit ihrem Liebhaber. Wenn es doch so wäre! Sie schritt weiter über das ehemalige Gelände einer Baumwollspinnerei, wie ihr das große Schild einer Baufirma verriet. Von den zwei- bis vierst ö ckigen Häusern blätterte der Putz ab, die hohen Fenster waren tei l weise eingeschlagen. Nur ein paar beleuchtete Baukräne sorgten für schwaches Licht. Noir ging am Hauptgebäude vorbei durch ein ba u fällig wirkendes Tor, durch das rostige Eisenbahnschienen führten. Die drei anderen Gebäude, die so standen, dass sich in der Mitte ein großer Hof bildete, waren wohl die Lager- und Produktionsgebäude gewesen. Auf dem Schild der Baufirma hatte außerdem gestanden, dass hier in Zukunft eine Wohnanlage entstehen sollte, mit einem Park, Spielplätzen und einem See. Noch sah alles trostlos und verfa l len aus, lediglich einige Bagger und Kräne hatten bereits mit Au f räumarbeiten begonnen.
Langsam schob sich Noir an einer Hauswand weiter, die im Du n keln lag. Sie wünschte sich jetzt ihren Mantel, der ihr ein zusätzliches Gefühl von Schutz vermittelte. Sie liebte die Nacht, daher hatte sie sich nach ihrer Flucht den Namen Noir gegeben.
Vielleicht war heute endlich der Tag gekommen, an dem sie Rache nehmen konnte. Sie erinnerte sich noch genau, wie die beiden D ä monen ausgesehen hatten, die ihr Auto in voller Fahrt kidnappten, bevor ihre Eltern kaltblütig ermordet wurden. Der eine war sehr groß gewesen, beinahe drei Meter, und hatte einen Anzug getragen wie ein Anwalt. Doch sein Schädel hatte an einen Stier erinnert, mit dem fellüberzogenen Gesicht und den dunkelbraunen Hörnern. Wie glühende Kohlen hatten seine Augen in den Höhlen gelegen. Allein sein Anblick hatte Todesängste in ihr ausgelöst.
Der andere, viel kleinere Dämon, hatte wie ein gewöhnlicher Mensch ausgesehen, mit schwarzem Haar, lässig gekleidet in Jeans und ein eng anliegendes T-Shirt. Nur die Augen waren alles andere als gewöhnlich gewesen. Diese leuchtenden blauen Augen hatten etwas Überirdisches. Dieses Blau verfolgte sie in ihren Träumen.
Ihre Erinnerungen schweiften zu jener Winternacht zurück, als ihr Name noch Malou LeMar gewesen war. Ihre Familie fuhr von der Magierhauptversammlung, die vier Mal im Jahr in Maidstone stat t fand, zurück nach London. Die mehrspurige M 20 war mit einer hauchfeinen Schneeschicht bedeckt und dicke Flocken wirbelten vor den Scheinwerfern ihres Mustangs auf. Malous Dad, Philippe LeMar , liebte diesen Wagen. Es war ein Shelby Mustang, Baujahr 1968, in Dunkelgrün mit Fünfpunktgurten.
Die Scheibenwischer quietschten leise, während im Radio ein r o ckiges Weihnachtslied nach dem anderen gespielt wurde. Malou saß neben ihrem dreizehnjährigen Bruder Jamie auf dem Rücksitz, und sie beide summten oder pfiffen die bekannten Popsongs mit. Für ihre fünfzehn Jahre war Malou bereits groß wie eine ausgewachsene Frau, weshalb ihre langen Beine in der hinteren Reihe kaum Platz fanden. Das nächste Mal würde sie mit ihrer Freundin Jenna mitfa h ren, die bereits einen Führerschein und ein eigenes Auto besaß, das hatte sich Malou geschworen. Doch irgendwie gefiel es ihr, bei ihrer Familie zu sein. Gerade um Weihnachten, wenn Malou nicht in der Schule, sondern zu Hause war, genoss sie es, von ihrer Mum umhegt zu werden, als wäre sie noch ein kleines Kind.
Jamie schubste ihr Bein mit seinem Knie zurück und sagte n e ckend: „
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