Herzen aus Stein (German Edition)
mit letzter Kraft wie ein Äffchen an seine nackte Brust, ihre Beine um seine Taille geschlungen, während er mit ihr über die Dächer huschte und über Häuserschluchten segelte, Kilometer um Kilometer. Sie traute sich kaum, die Augen zu öffnen. Allein vom Zusehen wurde ihr schwindelig. Alles ging derart schnell und sie waren so weit oben, doch der Gargoyle hielt sie sicher in seinem Griff, bis sie auf der Terrasse ihres Hotelzimmers standen.
Dabei kam sich Noir vor wie die Lady, die von King Kong en t führt wurde. Nur dass dieser Kerl hier kein hässlicher, haariger Affe war. Eigentlich schaute ihr Retter gar nicht so übel aus, wenn man von seiner raubtierhaften Erscheinung absah. Er war groß, sein Kö r per bestand aus sehnigen Kraftpaketen, die sich unter seiner Haut wölbten, und er bewegte sich geschmeidig wie ein Panther.
Mit seiner Pranke drückte er die Terrassentür auf und warf Noir mehr auf das Doppelbett, als dass er sie legte. Sie befürchtete bein a he, dass sich das Wesen jetzt auf sie stürzen wollte, seinen Lohn einfordern, weil es sie gerettet hatte. Es brach jedoch neben ihr auf der Matratze zusammen und blieb auf dem Rücken liegen, die Arme über dem Kopf angewinkelt.
Für einen Moment saß Noir wie erstarrt neben ihm, lauschte ihrem hektischen Atem und dem Pulsieren in ihren Ohren. Dabei starrte sie auf das riesige Geschöpf, das von den hereinfallenden Lichtern der Stadt sanft beleuchtet wurde. Ihr Retter, ihr Engel. Im Halbdu n kel sah er wirklich aus wie ein Engel. Noir wurde langsam gewahr, dass sie den Höllenwesen tatsächlich entkommen war. Aber … War das wirklich ein Gargoyle, der neben ihr lag? Warum hatte er sie gerettet? Woher war er plötzlich gekommen? Er atmete heftig, sie konnte es sehen und hören. Doch sein Keuchen ließ immer mehr nach, als würde er das Bewusstsein verlieren. Woher wusste er, wo sie wohnte? Sie hatte gedacht, mögliche Verfolger abgeschüttelt zu haben, als sie bei ihrer Ankunft in Paris im Zickzackkurs durch die Stadt gefahren war.
Mit zitternden Fingern suchte sie den Schalter der Nachttischla m pe. Als das Licht aufflammte, erschrak sie. Seine Gestalt füllte das ganze Bett aus. Seine Jeans hingen in Fetzen, der Körper war blu t verschmiert und wies tiefe Wunden auf. Sogar seine mächtigen Schwingen hatten Risse davongetragen. Sein Gesicht war entspannt, die Augen geschlossen und der Mund leicht geöffnet, sodass Fänge hervorblitzten. Er hatte mit vollem Körpereinsatz gekämpft, seinen Kopf für sie hingehalten.
Nein, er konnte kein Feind sein. Vorsichtig beugte sie sich über ihn und streichelte durch sein verstrubbeltes braunes Haar, unter dem sie ein Paar winziger Hörner fühlte. Interessant. Der Gargoyle lag auf seinen Schwingen, als wäre er ein geöffneter Mantel. Noir ließ ihre Finger darübergleiten. Sie fühlten sich an wie warmes Leder. Sanft legte sie ihm ihre Hand auf eine geschwollene Wange und füh l te den Puls an seinem Hals. Schwach und unregelmäßig schlug er gegen ihre Fingerspitzen. Konnte sie ihm helfen? Sie beherrschte Heilzauber und kannte Medizin gegen dämonische Verletzungen. Würden diese auch bei einer anderen Kreatur wirken?
„ Hörst du mich? “ , fragte sie. Behutsam rüttelte sie an seiner Schu l ter, doch es kam keine Reaktion. Seine Haut war überall leicht grä u lich. Lag das an der Asche? Sie musste versuchen, seine Wunden zu reinigen oder sie würden sich entzünden und gemeinsam mit den Sekreten der Unterweltler seinen Körper vergiften. Als Noir seine Verletzungen begutachtete, bemerkte sie eine abgebrochene Dämonenkralle, die zwischen zwei seiner Rippen steckte. Sie zögerte keine Sekunde, legte den Stoff ihres Umhangs, der noch auf ihrem Bett gelegen hatte, um die Klaue, und zog sie mit einem Ruck he r aus.
Der Gargoyle bäumte sich stöhnend unter ihr auf und blieb dann wieder reglos liegen. Schwarzes Gift tropfte aus der Kralle, während Noir sie in einen Aschenbecher legte. Verdammt, es musste an dem toxischen Dämonenblut liegen, dass der Gargoyle halb ohnmächtig war. Wie viel hatte sich schon in seinem Körper ausgebreitet?
Hastig holte sie ihren Rucksack unter dem Bett hervor. Daraus zog sie einen Beutel Kräuterpulver, das sie immer einnahm, wenn sie bei Kämpfen verletzt wurde. Sie rannte ins Badezimmer, gab etwas von dem grünen Pulver in zwei Zahnputzbecher und füllte sie mit Wa s ser. Einen trank sie in hastigen Schlucken , mit dem anderen eilte sie zurück ans Bett. Der
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