Herzen aus Stein (German Edition)
Gargoyle lag immer noch da wie zuvor, doch seine Atmung ging wieder schneller.
„ Hörst du mich? “ , fragte sie hoffnungsvoll ein weiteres Mal. Wenn er bewusstlos war, konnte er nichts zu sich nehmen, aber ein tiefes Stöhnen war Antwort genug.
„ Ich werde dir Medizin geben. Du musst das trinken. “ Sie legte e i ne Hand unter seinen Kopf und versuchte, ihm das Getränk in den Mund zu schütten. Da seine Lippen leicht geöffnet waren, gelang es ihr. Sie bemerkte erneut seine scharfen Eckzähne. Automatisch schluckte der Gargoyle, erst langsam, dann schneller, bis er den B e cher geleert hatte. Vorsichtig legte Noir seinen Kopf zurück aufs Kissen und stellte das Gefäß auf den Nachttisch. „ Ich muss deine Wunden ausspülen, meinst du, du schaffst es unter die Dusche? “
Seine Lider flatterten. Er drehte den Kopf in ihre Richtung. Sein Gesicht sah menschlich aus, nur der Nasenrücken war etwas breiter, sein Kinn und die Wangenknochen recht markant. Als sich jedoch seine Augen öffneten, erkannte Noir geschlitzte Pupillen wie bei einem Raubtier. Steingrau war die Farbe seiner Iris. Wunderschön.
Etwas zuckte an ihrem Bein und sie wich erschrocken ein Stück zurück. Sie hatte unbemerkt auf seinem Flügel gekniet. „ Tschuldigung “ , murmelte sie, woraufhin sich die Lippen des Gargoyles bewegten; doch nur ein kratzender Laut drang aus seiner Kehle.
Sie starrte auf seinen Bauch, unter dessen Haut sich jeder Muskel abzeichnete. Eine Spur schwarzer Härchen führte von seinem Nabel in den Bund der Jeans. Der Gürtel war zerrissen, ebenso der Stoff der Hose. Ein muskulöser Oberschenkel lag frei und wies ebenfalls Schürfwunden auf. Noirs Herz zog sich zusammen. Dieses G e schöpf war verletzt, ihretwegen.
Sie erkannte sich kaum wieder. Wo war die harte, kühle Frau, die sie sonst gab? So viele Dämonen hatte sie getötet, doch bei diesem Wesen wurde sie weich. Es hat mich gerettet, sagte sie zu sich. Sie war es ihm schuldig, ihm zu helfen.
„ Kannst du aufstehen? “ Ihr Trank schien zu wirken und das Gift in seinem Körper zu neutralisieren.
Nickend starrte er sie an. Seine spitzen Ohren zuckten. Nicht alle Gargoyles sahen gleich aus, wusste Noir noch aus dem Schulunte r richt, Fach: Mythologie. Je nach Klan konnte sich ihr Äußeres unte r scheiden. Hatte der Gargoyle, den sie als Kind heimlich beobachtet hatte, nicht einen Tierschwanz gehabt? Noir wusste es nicht mehr, aber es gab solche mit Hörnern und auch welche ohne. Manche Hörner waren nur Stummel, wie bei diesem Gargoyle hier, aber Noir hatte schon Bilder gesehen von Gargoyles mit mächtigen Hörnern, die einen Büffel daneben alt aussehen ließen. Die Schwingen kon n ten unterschiedlich beschaffen sein. Lederartig, wie die des Gargoyles auf ihrem Bett. Auch netzartig oder mit Fell überzogen. Manche besaßen hässliche Fratzen, die Tieren ähnelten; dieser hi n gegen hatte ein menschliches Gesicht. Es war beinahe schön.
Hastig wich sie seinem durchdringenden Blick aus. Was hatte sie nur für Ideen? Sie würde doch nicht Gefallen an einem Gargoyle finden, nur weil er sie gerettet hatte? Und wer sagte ihr, dass es sich bei diesem Wesen tatsächlich um einen Gargoyle handelte? Sie blieb lieber wachsam. Ihre Klingen steckten wieder in ihren Stiefeln, sie würde sie im Notfall benutzen, herrliches Geschöpf hin oder her.
Kurz warf sie einen Blick auf ihr Handy, doch kein Punkt leuchtete auf. Mist, Magnus hatte ja gesagt, dass die Anzeige der Signaturen in geschlossenen Räumen nicht funktionierte, weil dort keine Satell i tenkamera hineinsehen konnte.
Der Gargoyle drehte sich um, sodass er aus dem Bett fiel und mit allen vieren auf dem Boden landete. Das brachte Noir wieder auf andere Gedanken. Seine Schwingen zitterten, während er sich lan g sam aufrichtete. Als er stand, die Augen geschlossen und mit einer Hand an der tapezierten Wand abgestützt, erkannte Noir abermals, wie groß er war. Groß und stark. Breite Schultern. Muskulös. Eine Kampfmaschine. Er atmete schwer, sein Körper wehrte sich gegen das Gift. Noir starrte auf die hervorgetretene Vene, die hektisch an seinem Hals pulsierte. Jeder Mensch wäre schon lange dem tox i schen Dämonenblut erlegen. Als Noir neben ihm auf die Beine kam, bemerkte sie, wie sehr ihre Knie zitterten. Sie fühlte sich ausgelaugt, vor allem mental. Sie hatte mächtige Zauber angewendet, die sie geistig erschöpft hatten. Dank des Trankes fühlte sie sich ein wenig gestärkt, doch nur Schlaf würde
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