Herzen im Feuer
mußte nicht ständig auf der Hut sein. Sie hatte beschlossen, die Tat-
sache zu verdrängen, daß auch Paddy eines Tages zu einem Mann heranwachsen würde und dann die Macht hätte, sie zu verletzen. Dar- über brauchte sie sich jetzt noch keine Gedanken zu machen; vorerst mußte sie sich nur mit der Misere beschäftigen, in die Brendan sie gebracht hatte. Sie fragte sich, wann sie sich wohl wieder aus dieser ominösen Geschäftsverbindung würden lösen können, und ihr Instinkt sagte ihr, daß das gar nicht schnell genug gehen konnte.
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Jamie trat ein. Sie hatte einen Schal um den Kopf gebunden und einen dünnen Mantel über ihren ausgezehrten Leib geworfen.
»Wie fühlst du dich, Jamie?« fragte Mara mitfühlend, als sie die grünliche Färbung von Jamies Haut und die Schweißperlen auf ihrer Oberlippe bemerkte.
Jamie warf dem Mädchen einen mürrischen Blick zu und ließ sich zitternd auf ihrer Koje nieder. »Wie soll man sich schon fühlen, wenn einem die Eingeweide wie Segel aufgehängt werden und der Wind sie ständig durchpustet?« schniefte sie. »Auf dieser Irrenreise, die Master Brendan uns da eingebrockt hat, geht's mir ständig von hunds- bis miserabel. Ich schwör', daß ich nie wieder ein Fuß auf 'n Wrack setzen werd', und wenn man mich durchprügelt.«
Mara verkniff sich ein Lächeln. »Ich weiß, daß du dich nicht gerade wohl fühlst wie ein Fisch im Wasser, Jamie, aber -«
»Wie'n Fisch im Wasser! Mein Gott, ich fühl' mich eher wie dieser alte Lachs, den sie da an Deck gezogen haben und der gerade sein Leben aushaucht!« Langsam schienen Jamies Lebensgeister zurückzu- kehren.
»Du bist dumm, Jamie! Du bist gar nicht rosa wie ein Lachs, du bist grau wie ein Wal!« mischte sich Paddy ein und begann wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft zu schnappen.
»Du solltest deine Zunge hüten, Master Paddy«, warnte ihn Jamie. »Wenn du weiter solche Gesichter ziehst, verpass' ich dir 'nen Löffel Lebertran.«
Paddy schnitt eine noch viel bizarrere Grimasse, floh in seine Koje zurück und widmete sich schleunigst wieder seinen Zinnsoldaten.
»Jamie«, begann Mara ruhig, »Brendan meint, daß unsere Erspar- nisse nicht reichen. Um die Wahrheit zu sagen, unsere Situation ist recht verfahren. Wir brauchen unbedingt mehr Geld«, versuchte sie taktvoll zu erläutern.
»Er hat wieder gespielt, was?« fragte Jamie geradeheraus. Sie schien keineswegs überrascht. »Na, dann strengen wir unsern Kopf wieder mal an, damit wir da rauskommen. Oder hat er etwa 'nen Plan?« Jamie musterte Mara kritisch. Ihre Augen waren immer noch scharf wie die eines Adlers und wußten einen Gesichtsausdruck zu deuten.
»Ja, Jamie«, gestand Mara. »Brendan hat uns schon wieder Arbeit verschafft - als Schauspieler sogar«, fügte sie mit einem ironischen Lächeln hinzu.
»Na, das klingt ja gar nich' so schlecht. Ich wußte gleich, daß es 'ne dumme Idee is', im Dreck nach Gold zu buddeln. Welches Stück isses, und was kriegen wir dafür?« erkundigte sie sich pragmatisch.
Mara zögerte, unentschlossen, wieviel sie enthüllen durfte. »Es ist kein richtiges Stück, und wir werden es nicht im Theater aufführen, Jamie.« Sie ignorierte so gut sie konnte den zweifelnden Blick, den Jamie ihr schenkte. »Ich werde die Nichte dieses Spaniers... dieses Don Luís' spielen, und Brendan übernimmt die Rolle meines Cousins, und -«
»Der Herr vergebe mir, ich will nichts weiter hör'n! Wirklich, Mara O'Flynn, ich will gar nichts von dieser Geschichte wissen, also keine Einzelheiten. Je weniger ich weiß, desto besser werd' ich schlafen«, verkündete Jamie entschieden und schüttelte resigniert ihr ergrautes Haupt.
»Du darfst nur nicht vergessen, mich Amaya zu nennen; viel mehr wirst du nicht sagen müssen...« Mara machte eine kleine Pause, und ihre Augen blitzten fröhlich. »Wenn es dir natürlich lieber ist, erkläre ich, du seist stumm, dann brauchst du überhaupt nicht zu sprechen.«
Jamie schnaubte verächtlich. »Solange ich leb', kann ich mir auch mein' Text merken. Ich mag ja seit über zwanzig Jahren nich' mehr aufgetreten sein, aber ich weiß immer noch, wie man Theater spielt. Stumm... Also so was«, empörte sie sich.
Am Abend traf sich Mara mit Brendan und Don Luís in Brendans Kabine. Brendan stierte mit finsterer Miene in seinen Whiskey, und Don Luís nippte an einem Glas Rotwein, als Mara eintrat. Sofort erhob sich Don Luís und bot ihr einen Stuhl am Tisch an.
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