Herzen im Feuer
befanden sich auch einige Gäste vom Abend vorher, wie zum Beispiel Carson Ashford, der ständig versuchte, Mara auf sich aufmerksam zu machen.
»Sklaven«, antwortete Amaryllis voller Verachtung. »Eine ganze Familie ist gestern abend entflohen. Sie können noch nicht weit sein, und die Hunde haben ihre Witterung bereits aufgenommen. In späte- stens einer Stunde habe ich sie«, prophezeite sie. Ein kalter Glanz trat in ihre Augen, als sie ihre Reitpeitsche in die Handfläche schnalzen ließ.
»Kein Interesse«, antwortete Nicholas kurz und lehnte sich lässig gegen eine Säule.
»Du hast dich kein bißchen verändert, Nicholas.« Amaryllis schüt- telte verständnislos den Kopf. »Du hast noch nie gern entlaufene Sklaven gejagt. Aber in gewisser Weise hast du recht. Es ist überhaupt keine Herausforderung. Jedenfalls hat noch keiner versucht, ein zwei- tes Mal zu entfliehen. Wie auch, auf einem Bein.« Sie schenkte Nicho- las einen bedauernden Blick, kniff die Augen zusammen, als sie Mara entdeckte, hob ihre Hand zum Abschied und galoppierte wieder die Auffahrt hinunter.
Mara runzelte die Stirn. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie an die armen Sklaven dachte, die hier wie Tiere gehetzt wurden. Ama- ryllis empfand dabei offensichtlich Vergnügen.
»Kommen Sie, wir wollen diesen unerfreulichen Vorfall vergessen«, riet Etienne freundlich und geleitete Mara wieder hinein. Nicholas folgte ihnen, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen.
Paddy kniete in dem großen Ledersessel vor Nicholas' Schreibtisch, überblickte das Schlachtfeld und beschloß, daß einschneidende Maß- nahmen getroffen werden mußten, wenn die Engländer den Sieg da- vontragen sollten.
Er kletterte aus dem Sessel, sammelte ein paar Zinnsoldaten ein und organisierte eine Frontbegradigung quer durch das Zimmer bis zum Fensterbrett. Als sich das Blatt immer noch nicht wenden wollte und sich weitere Truppen an den Rand des imaginären Steilhangs zurück- ziehen mußten, verlor ein Soldat den Halt und stürzte ab. Da der Soldat das Bein gebrochen hatte und nicht mehr richtig stehen konnte, klemmte Paddy ihn in einer Fuge des Fensterbretts fest. Aber als er das Bein des Kameraden tiefer in den Spalt trieb, verbreiterte sich dieser und gab den Blick auf einen Hohlraum unter dem Holz frei.
Paddy versprach seinem Soldaten für diese Entdeckung einen Orden und schob das Holzbrett beiseite. Er spähte in den Hohlraum, konnte aber nichts entdecken. Als er seine Hand hineinsteckte und nach dem Grund tastete, begannen seine Augen plötzlich zu leuchten - seine Finger hatten etwas erspürt.
»Ein Geheimbefehl!« flüsterte Paddy triumphierend, als er ein klei- nes, ledergebundenes Buch sowie ein paar mit Bändern verschnürte Dokumente herausgeholt hatte. Sie sahen wirklich wichtig aus. Ohne einen weiteren Blick auf sie zu werfen, versenkte er sie wieder in dem Geheimfach. Dann schob er das Brett wieder darüber und befahl sei- nem verwundeten Soldaten, Wache zu halten. Niemand würde von seinem Geheimversteck erfahren, schwor er sich. Er hüpfte zurück zum Schlachtfeld und nahm den Kampf mit neuem Schwung auf.
»Spielst du immer noch mit Spielzeugsoldaten?« fragte Damaris, die kurz darauf ins Zimmer geschlendert kam. Ihre Unterhosen lugten unter dem Saum ihres karierten Kleides hervor.
»Es regnet«, antwortete Paddy ungerührt.
»Die Sonne kommt schon raus«, widersprach ihm Damaris sofort.
»Na und?«
Damaris musterte ihn eindringlich, und ein überlegenes Lächeln spielte um ihre Lippen. »Vielleicht willst du ja mal was anderes ma-
chen als diesen... Kinderkram?« lockte sie, und ihr Tonfall deutete gleichzeitig an: Aber du traust dich ja bestimmt nicht!
Paddy schaute auf. »Und du kannst überhaupt nicht mit Soldaten spielen. Du bist bloß ein Mädchen. Mädchen spielen immer mit Pup- pen«, belehrte er sie und widmete sich sofort wieder seinen Truppen. So entging ihm auch Damaris' zorniger Blick. »Außerdem hab' ich ein Geheimnis und du nicht«, ärgerte Paddy sie. »Und ich erzähl' es nur Onkel Nicholas.«
»Dann möchtest du nicht auf Hexer reiten?« fragte Damaris schein- bar gleichgültig. Sie wandte sich zum Gehen und stieß dabei mit ihrem Fuß einen Soldaten um.
Paddy schoß hoch. »Du willst auf Hexer reiten?« fragte er ungläubig und ehrfürchtig zugleich. »Aber Onkel Nicholas hat dir verboten, auf ihm zu reiten.«
»Ist mir doch egal, was der sagt.« Damaris schüttelte störrisch ihre roten Locken.
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