Herzen im Feuer
ihren Erinnerungen entkommen können. Sie fragte sich, wie es ihm gehen mochte. Was tat er jetzt wohl?
Nicholas entfernte sich immer weiter vom Rancho Villareale. Er war auf dem Weg nach Sacramento City. Auch er dachte mit düsterer Miene über die Vergangenheit nach.
Er war aus der Bewußtlosigkeit erwacht, verschnürt wie ein Paket, mit einer dicken Beule am Hinterkopf und leergeräumten Taschen. Die O’Flynns waren inzwischen über alle Berge. Schließlich war es ihm gelungen, sich zu befreien; er hatte seine geschwollenen Gelenke mas- siert und war zur Tür gehumpelt. Die ganze hacienda war in Aufruhr.
Binnen weniger Minuten hatte er seine Habseligkeiten zusammenge- packt und seinen Gastgeber ausfindig gemacht. Don Andres war zu- sammen mit Doña Ysidora in seinem Arbeitszimmer. Letztere war wieder ganz in Schwarz gekleidet, und ihr Gesicht war mindestens ebenso düster wie ihr Kleid. Ihre Rede wurde von heftigen Gesten begleitet.
»Und was geschieht jetzt?« verlangte sie zu wissen. »Don Luís ist ein kranker Mann. Wie soll er sie ernähren? Ihr Schmerz überwältigt sie, mein Sohn. Ich mache mir Sorgen. Natürlich werden wir die beiden bei uns aufnehmen, obwohl sich Don Luís so unehrenhaft verhalten hat.«
Don Andres schüttelte traurig den Kopf. »Das wird nicht nötig sein.«
Doña Ysidora fixierte ihren Sohn ungläubig. Dann fragte sie scharf: »Was soll das heißen? Wo sollen Jacinta und Luís denn leben? Ihr rancho wurde von diesem« - ihre Lippen verengten sich in unterdrück- tem Zorn - »diesem Judas gestohlen. Ich kann immer noch nicht
verstehen, wie ein Mensch, der solange unter uns gelebt hat, uns so betrügen konnte. Und sogar Luís wollte uns hintergehen. Er hätte ja ohne weiteres auf seinen rancho zurückkehren können. Du hättest ihm sein Land wieder verkauft. Wir hätten schon eine Lösung gefunden.«
»Don Luís und Doña Jacinta brauchen unsere Hilfe nicht, madre«, widersprach ihr Don Andres und lächelte traurig. »Du vergißt das Kreuz. Don Luís wollte damit sein Land zurückkaufen. Sie werden beide nach Monterrey zurückkehren. Dort ist Jacinta zu Hause. Sie hat dort viele Verwandte und wird ein Haus in der Stadt kaufen, denn Don Luís wird sein Bett wahrscheinlich nie wieder verlassen.«
»Verzeihen Sie, Don Andres«, unterbrach ihn Nicholas von der Tür her. »Es ist Zeit für mich zu gehen. Sie werden in der nächsten Zeit keine Fremden unter Ihrem Dach haben wollen. Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihre Gastfreundschaft.«
Don Andres nickte höflich. »Es war mir ein Vergnügen, Seiior Chantale, obwohl Sie natürlich so lange bleiben können, wie Sie möch- ten.« Selbst jetzt war er noch ein liebenswürdiger Gastgeber. »Aber in diesen traurigen Tagen wird es für uns nichts zu feiern geben.«
»Ich danke Ihnen vielmals«, lehnte Nicholas ab, »aber ein Freund erwartet mich in Sacramento City. Außerdem habe ich noch eine Rechnung zu begleichen.«
Jetzt ritt er unter der sengenden Sonne, die bereits im Westen stand, den Weg über die Hügel entlang und dachte über die Rechnung nach, die er noch begleichen wollte. Die O’Flynns hatten ihn hereingelegt - sie waren wirkliche Meister in der Kunst der Verstellung. Er rieb vorsichtig über den Buckel an seinem Hinterkopf und stellte sich mit einem wütenden Lächeln vor, wie er das makellose Gesicht Brendan O’Flynns zurichten würde. Und was sollte mit Mara O’Flynn gesche- hen? Er ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen, während er ihr schönes Antlitz vor sich sah.
Nun, dachte Nicholas, und seine Augen funkelten vor Vergnügen, irgendwann werden mir die O’Flynns wieder über den Weg laufen. Und dann werden sie diese Rechnung auf Heller und Pfennig bezahlen.
Tage voll Melancholie kommen nun, die traurigsten im Jahr
Die Winde jagen, der Wald steht kahl, die Felder sind aller Früchte bar
WILLIAM CULLEN BRYANT
Kapitel 7
Mara eilte über den mit Holzplanken bedeckten Gehweg. Der Klang ihrer Schritte wurde durch die dicke Dreckschicht an ihren Stiefeln gedämpft. Ein kalter Nordwestwind drückte in scharfen Böen den schweren Wollmantel an ihren Leib. Aber wenigstens hatte der Wind den Morgennebel, der in feinen Schwaden über der Stadt gelegen hatte, in die Hügel rund um die San Francisco Bay getrieben.
Mehr als ein Jahr war vergangen, seitdem sie in New York City Segel gesetzt hatten. Bald würde es wieder Frühling werden. In nicht einmal einem Jahr war die Stadt auf doppelte Größe angewachsen, und die
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