Herzen in süßer Gefahr (German Edition)
hingen die Kleider an ihr, und es gab keine einzige Stelle an ihrem ganzen Körper, die noch warm war. Und noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so sehr nach trockener Kleidung gesehnt, nach einem Dach über dem Kopf, nach einem prasselnden Feuer. Der wolkenverhangene Himmel kündigte neuen Regen an. Heute würde die Nacht früh über sie hereinbrechen.
In der Nähe ihres Zeltes hatte sich ein heftiger Streit erhoben. Zwei Soldaten gestikulierten aufgebracht, während Dammartin mit finsterer Miene dabei stand und die Männer mit Fragen bombardierte. Auch Molyneux schien in die Auseinandersetzung verwickelt. Sergeant Lamont beobachtete das Ganze aus einiger Entfernung. Zwischendurch wiesen die Soldaten immer wieder abwechselnd in ihre Richtung und dann zu dem Pferch, wo die Maulesel standen. Josette begriff, dass es bei dem Zank um sie gehen musste.
Im nächsten Moment kam Dammartin auf sie zu. Sein schwerer Mantel reichte fast bis zum Boden. Der graue Wollstoff war dunkel von der aufgesaugten Nässe. Wasser lief dem Capitaine ins Gesicht, das Haar klebte ihm an den Schläfen und die Narbe hob sich deutlicher als sonst von den blassen Wangen ab.
Josette sah ihm mit einer bangen Ahnung entgegen.
„Capitaine?“
„Mademoiselle.“ Er presste den Mund grimmig zusammen.
„Was ist geschehen?“
„Ich fürchte, wir können Ihren Mantelsack nicht finden.“
Sie sah ihn verständnislos an. Die Bedeutung seiner Worte wollte ihr nicht aufgehen. „Aber er war doch auf einen der Maulesel geschnallt. Zwei Ihrer Soldaten holten ihn heute Morgen ab. Ich habe selbst gesehen, wie sie ihn aufluden.“
„Jedenfalls ist er nicht mehr da. Meine Männer erhielten den Befehl, das gesamte Gepäck durchzukämmen, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen.“
Erst jetzt erkannte sie die Tragweite dessen, was er gesagt hatte. Ihr stockte der Atem. „Das kann nicht sein.“
„Leider doch.“
„Jemand muss ihn gestohlen haben.“
„Wir wissen es nicht.“
„Natürlich wurde er gestohlen“, rief sie. „Haben Sie eine andere Erklärung?“ Sie dachte an die Tagebücher ihres Vaters … die sich nun in der Hand des Feindes befanden.
„Oh mein Gott!“ Ihr wurde schwindlig vor Angst.
„Mademoiselle …“
„Was soll ich tun?“, flüsterte sie verzweifelt, eher zu sich selbst als zu ihm. „Was in aller Welt soll ich nur tun?“ Sie presste sich die Hand vor den Mund.
„Wir werden trockene Kleidungsstücke für Sie finden.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht!“
„Beruhigen Sie sich, Mademoiselle.“
Josette hörte kaum, was er sagte. Sie hatte das Einzige verloren, das ihr von ihrem Vater geblieben war. Er hatte ihr seine Aufzeichnungen anvertraut, und sie ließ sie den Franzosen in die Hände fallen. Und Dammartin konnte sie die Wahrheit nicht sagen.
„Dem Himmel sei Dank, dass ich …“ Sie brach hastig ab. „Bitte, entschuldigen Sie mich, Capitaine“, fügte sie schnell hinzu und lief zu ihrem Zelt, bevor sie in ihrer Erregung noch mehr verriet.
Josette saß eine Weile verloren an dem Tischchen in ihrem Zelt, doch sie war nass bis auf die Haut und wusste, dass sie ihre Kleidung ausziehen und sich abtrocknen musste, wenn sie nicht krank werden wollte. Mit einem tiefen Seufzer nahm sie ihren Hut ab und zog die Wollfäustlinge und die Lederhandschuhe, die sie darunter trug, aus. Ihre Finger waren klamm und steif, und sie konnte sie nur mit Mühe bewegen. Als Nächstes folgten Umhang und Mantel. Sie brauchte lange, um die Schnürsenkel aufzuknoten, aber schließlich lagen auch ihre Stiefeletten und die Strümpfe auf dem Berg feuchter Sachen.
Sie schob die Zelttür zur Seite, kniete sich hin und wrang ein Kleidungsstück nach dem anderen aus, so gut sie konnte. Am Ende schloss sie die Zelttür hinter sich, zog sich nackt aus und hüllte sich in den feuchten Umhang. Dann wiederholte sie die Prozedur mit ihrem Kleid, dem Unterkleid und dem Hemd, breitete die Sachen auf dem Boden aus, wo sie hoffentlich trocknen würden. Gerade als sie fertig war, erklang draußen eine weibliche Stimme.
„Senhorita Mallington?“
„Ja.“ Josette öffnete die Zeltklappe. „Das bin ich.“
Vor ihr stand eine Frau, die etwa ihre Größe hatte und genauso schlank war. Sie musste ungefähr fünf Jahre älter sein als sie selbst. Die Kapuze des schlichten grauen Umhangs verbarg ihr Haar, doch um ihr Gesicht ringelten sich widerspenstige dunkle Locken. Ihre großen braunen Augen waren von den dichtesten,
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