Herzenhören
begeistert, selbstverständlich nicht, wusste man doch, dass diesen Menschen die Sterne nicht günstig gesonnen sind, dass ihnen ein schweres Leben bevorsteht, dass ihren Seelen selten Flügel wachsen. Jede Familie kannte einen Onkel oder eine Tante oder zumindest Nachbarn oder Freunde der Nachbarn, die jemanden kannten, der einen Verwandten hatte, der an einem dieser ungünstigen Tage geboren worden war und der durch das Leben schlich wie ein geprügelter Hund, der klein und kümmerlich blieb wie ein Schattengewächs. Sein Sohn würde es nicht leicht haben, da machte sich Khin Maung keine Illusionen, aber gleich von einem Fluch zu sprechen, der auf dem Kind lag, so weit wollte er nicht gehen (auch wenn ihn die Geschichte mit den Hühnern beunruhigte, was er seiner Frau gegenüber allerdings nicht zugab). Als Mya Mya vorschlug, den Astrologen um Rat zu fragen, war Khin Maung sofort einverstanden, nicht nur, weil er zu den Menschen gehörte, die ungern Nein sagen. Er hoffte, der alte Mann mit seiner Weisheit könne seine Frau beruhigen oder, sollten die Sterne ihre Befürchtungen bestätigen, er würde ihnen sagen, wie sie das Unglück, das ihrem Kind drohte, wenn schon nicht abwenden, so doch begrenzen könnten.
Der Astrologe lebte in einer unscheinbaren Holzhütte am Rande des Dorfes. Nichts deutete auf das Ansehen hin, das er in der Gemeinschaft genoss. Es wurde im Ort kein Haus gebaut, ohne ihn zuvor zu konsultieren, ob der Bauplatz gut gelegen war oder der Tag des Baubeginns unter einem günstigen Stern stand. Vor jeder Hochzeit kamen die zukünftigen Eheleute oder deren Eltern und versicherten sich bei ihm, ob die Horoskope des Brautpaares auch zueinander passten. Er befragte die Sterne nach den besten Daten, um auf die Jagd zu gehen oder eine Reise in die Hauptstadt anzutreten. Seine Vorhersagen hatten sich über die Zeit als so zutreffend erwiesen, dass die Menschen aus der ganzen Provinz zu ihm reisten. So gut war sein Ruf, dass angeblich – niemand wusste es genau, aber es gab hartnäckige Gerüchte – selbst manche der in Kalaw lebenden Engländer, die die birmanische Astrologie öffentlich als Aberglaube und Hokuspokus verspotteten, ihn regelmäßig aufsuchten und um Rat fragten.
Der alte Mann hockte im Lotussitz in der Mitte seines kleinen Zimmers. Ein Kopf, so rund wie der Vollmond, dachte Khin Maung. Augen, Nase und Mund waren gleichermaßen wohlgeformt, und nur die beiden großen, abstehenden Ohren störten das Bild eines perfekt proportionierten Gesichtes. Niemand wusste, wie alt er war, selbst die Ältesten im Dorf beteuerten, sie könnten sich nicht an ihn als jungen Mann erinnern, und so ging man davon aus, dass er vor weit über achtzig Jahren geboren worden war. Er selbst sprach darüber nicht, und sein Aussehen und sein wacher Geist schienen nicht den Gesetzen des Alterns zu gehorchen. Seine Stimme war seit jeher sanft und leise gewesen und noch immer klar und deutlich, sein Gehör und seine Augen waren so gut wie die eines Zwanzigjährigen. Die Jahre hatten sein Gesicht in Falten gelegt, aber die Haut hing nicht schlaff vom Körper wie die eines Greises.
Khin Maung und Mya Mya verneigten sich und verharrten auf der Türschwelle. Obwohl Mya Mya ihm bereits als Kind gegenübergesessen hatte und bis zu diesem Tag so häufig, dass sie es längst aufgegeben hatte, die Besuche zu zählen, spürte sie jedes Mal wieder etwas in den Knien und im Magen. Keine Vertrautheit, nur Verehrung, ja Ehrfurcht.
Für Khin Maung war es das erste Mal, und bei ihm mischten sich Respekt und Neugierde. Seine Eltern hatten den Astrologen immer allein aufgesucht und auch vor der Hochzeit mit Mya Mya hatten sie ihn gefragt, ob sie für ihren Sohn die passende Frau gefunden hätten.
Khin Maung blickte sich kurz um, bevor er sich erneut verneigte. Fußboden und Wände waren aus dunklem Teakholz, durch die beiden offenen Fenster fielen Lichtstrahlen, in denen er Staubflocken tanzen sah. Die Sonne zeichnete zwei Rechtecke auf den Boden, sie schimmerten auf dem von den Jahren blank polierten Holz. Dieser Glanz war von einer Kraft, die Khin Maung erschauern ließ. Dann erblickte er eine holzgeschnitzte, golden glänzende Buddhafigur. In seinem ganzen Leben hatte Khin Maung noch keinen so schönen Buddha gesehen. Er sank auf die Knie und verneigte sich, bis seine Stirn den Boden berührte. Vor dem Buddha standen zwei Blumensträuße und Teller gefüllt mit Opfergaben. Jemand hatte vier Apfelsinen liebevoll zu einer
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