Herzenhören
gequetschten Kopf und dem entstellten Gesicht.
Was immer ein Kind braucht, Mya Mya wusste es nicht. Sie kam mit leeren Händen.
Was sie an Liebe besessen hatte, gab es nicht mehr. Fortgespült. An einem heißen, brütenden Tag im August.
8
N iemand konnte behaupten, dass Mya Mya sich in den ersten Lebenstagen ihres Sohnes nicht bemüht hätte. Sie tat, was immer die Nachbarin ihr sagte. Sie legte ihn an die prall gefüllte Brust und nährte ihn mit ihrer Milch. Sie wiegte ihn in den Schlaf oder trug ihn umher, wenn er keine Ruhe finden konnte. Sie schleppte ihn eng an den Körper gebunden, wenn sie ins Dorf zum Einkaufen ging. Nachts lag sie wach zwischen ihrem Mann und ihrem Kind und horchte, ob der Kleine Luft holte, folgte den kurzen, schnellen Atemstößen des Säuglings und wünschte sich, dass sie etwas spüren würde. Etwas fühlen, wenn ihr Kind an ihr saugte, es mit seinem faltigen Händchen einen ihrer Finger umklammerte. Sie wünschte sich, dass etwas käme, das die Leere in ihr füllen würde. Irgendetwas.
Sie drehte sich zur Seite und presste ihn an sich, eine Umarmung irgendwo zwischen Ohnmacht und Gewalt. Sie drückte kräftiger, und zwei große, braune Augen blickten sie erstaunt an. Mya Mya spürte nichts. Mutter und Sohn waren wie zwei Magneten, die einander abstießen. So sehr sie auch drücken mochte, sie berührten sich nicht.
Vielleicht wäre es eine Frage der Zeit gewesen, vielleicht hätten sie trotzdem eine Chance gehabt, und aus dem Instinkt des Versorgens wäre ein Gefühl der Zuneigung und aus dem Gefühl der Zuneigung das Wunder der Liebe geworden, wäre nicht die Geschichte mit den Hühnern passiert.
Es geschah an einem Sonnabend auf den Tag genau zwei Wochen nach der Geburt. Mya Mya ging kurz nach Sonnenaufgang hinaus auf den Hof, um Holz zu holen für das Feuer in der Küche. Es war ein kalter Morgen, und sie beeilte sich. Auf der Suche nach etwas Reisig und ein paar kräftigen Scheiten ging sie hinter das Haus, das tote Huhn lag direkt vor dem Holzhaufen. Fast wäre sie draufgetreten. Das zweite entdeckte sie gegen zwölf Uhr, die Stunde der Geburt, drei und vier kurz darauf und den Hahn am Nachmittag. Ihr Mann schaute sich die toten Tiere an und konnte nichts finden. Noch am Abend zuvor waren sie munter gackernd um das Haus gerannt, und es gab keine Anzeichen, dass ein Hund, eine Katze oder gar ein Tiger sie gerissen hatten. Für Mya Mya bestand kein Zweifel, die Kadaver bestätigten ihre schlimmsten Befürchtungen. Sie waren der Wolkenbruch, nein, schlimmer, der Taifun im Dezember, das Beben der Erde, vor dem sie sich immer gefürchtet und auf das sie insgeheim gewartet hatte: Auf ihrem Sohn lag ein Fluch. Er war ein Bote des Unglücks. Der Astrologe hatte es vorhergesagt. Sie hätte kein Kind an einem Sonnabend gebären dürfen, nicht im Dezember.
Selbst die Tatsache, dass in den folgenden Tagen mehr als ein Dutzend Hühner der Nachbarn den gleichen rätselhaften Tod starben, konnte Mya Mya nicht beruhigen, im Gegenteil, es machte alles nur noch schlimmer. Es gab ihr die Gewissheit, dass dies nur der Anfang sei und dass das Unglück, das der Junge brachte, nicht auf ihre Familie beschränkt bleiben würde.
Nun lag sie nachts wach, besessen von der Angst vor der nächsten Katastrophe. Sie wusste, es war nur eine Frage der Zeit. Jedes Räuspern, jedes Röcheln, jeder Seufzer klang wie ein Donnern am Horizont. Sie wagte kaum, sich zu bewegen und lauschte jeder Regung ihres Kindes. Als wären das Ein- und Ausatmen die Schritte des Unheils, das herangeschlichen kommt.
Eine Woche später versiegte ihre Milch. Ihre Brüste hingen schlaff an ihrem Körper wie zwei kleine aufgeblasene Ballons, aus denen die Luft entwichen war. Das Stillen übernahm eine Freundin der Nachbarin, die selbst gerade ein Kind bekommen hatte. Mya Mya war froh über jede Stunde, die ihr Sohn nicht im Haus war. Sie wollte mit ihrem Mann reden. So konnte es nicht weitergehen. Sie mussten etwas unternehmen.
9
K hin Maung fand, dass seine Frau übertrieb. Natürlich glaubte auch er an die Macht der Sterne. Jeder Mensch weiß, dass der Tag, die Stunde, ja selbst die Minute der Geburt das Leben in bestimmte Bahnen lenken, daran bestand gar kein Zweifel. Und dass es Dinge gibt, die man beachten muss, Tage, an denen man nichts tun darf, Rituale, denen es zu folgen gilt, um Unheil abzuwenden, auch da war sich Khin Maung mit seiner Frau einig. Von einer Geburt an einem Sonnabend im Dezember ist niemand
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