Herzenhören
hätte er nicht auf eine Gelegenheit gewartet, er hätte sie gesucht und ergriffen. Aber das lag nicht in seiner Natur. Dazu hätte er Grenzen, seine Grenzen, überschreiten müssen, und er war kein Held. Die Gedanken waren das Äußerste, was er sich erlauben konnte, und es dauerte nicht lange, da war seine Kraft erschöpft. Die Zweifel kehrten zurück, und als sein Widerstand gebrochen war, fielen sie über ihn her wie Ratten und Raubvögel über einen Kadaver. Die Sterne haben Recht. An einem Samstag im Dezember. Große Sorgen in vielerlei Hinsicht. Deutlicher geht es kaum.
Der Geschichte mit den Hühnern folgte das Ableben einer Großtante, auf den Tag genau acht Wochen nach der Geburt des Jungen. Sie war, zugegeben, sehr alt und krank gewesen und hatte schon seit Jahren ihre Hütte nicht mehr verlassen, und für einen kurzen Augenblick hatte Khin Maung seine Frau darauf hinweisen wollen. Einen kurzen Augenblick, dann sah auch er das Zeichen und konnte seiner Frau nicht widersprechen.
Und so zog er sich aus dem Leben seines Sohnes zurück, tröstete sich mit dem Gedanken, dass er ja nur das erste von vielen Kindern sei, die er, Khin Maung, mit Mya Mya haben würde, und dass nicht alle an einem Sonnabend im Dezember, April oder August zur Welt kommen würden. Er verpachtete sein Feld und fand Arbeit als Gärtner und Caddy auf dem Golfplatz der Engländer. Das war nicht nur besser bezahlt als die mühselige Feldarbeit, es erlaubte ihm auch, selbst in der Trockenzeit, wenn er als Bauer nichts zu tun hatte, das eigene Haus zu meiden. Golf wurde immer gespielt.
Mya Mya vergrub sich in ihre Arbeit als Haushälterin. Die Familie lebte in einer kleinen Hütte aus Holz und Lehm hinter einer prächtigen, zweistöckigen Villa, die einem entfernten Onkel Khin Maungs gehörte. Sie stand auf einer Bergkuppe oberhalb des Dorfes und war, wie die meisten Häuser der Kolonialherren in Kalaw, im Tudorstil erbaut. Der Ort war besonders in der Trockenzeit beliebt. Wenn in der Hauptstadt Rangun und in Mandalay die Temperaturen auf vierzig Grad kletterten, bot das über tausend Meter hoch gelegene Kalaw Linderung von der Hitze der Ebene und des Deltas. Es gab Engländer, die nach ihrer Pensionierung im Land blieben und sich in einer der Bergstationen wie Kalaw ansiedelten. Ein englischer Offizier hatte sich diese Villa als seinen Altersruhesitz gebaut, war dann jedoch tragischerweise zwei Wochen vor seiner Entlassung aus dem Dienst seiner Majestät von einer Tigerjagd nicht zurückgekehrt.
Seine Witwe verkaufte das Haus an Khin Maungs Onkel, der es in Rangun als Reisproduzent zu Ansehen und einem stattlichen Vermögen gebracht hatte. Er war einer der wenigen, denen es gelungen war, in dem von der indischen Minderheit dominierten Reishandel eine Rolle zu spielen, und gehörte zu den reichsten Birmanen des Landes. Die Villa hatte für ihn keinen praktischen Wert. In den sechs Jahren, seit sie ihm gehörte, war er noch nicht einmal dort gewesen; sie war ein Beweis seines Reichtums, ein Statussymbol, dessen Erwähnung allein schon seine Geschäftspartner in der Hauptstadt beeindrucken sollte. Mya Mya und Khin Maungs Aufgabe war es, das Anwesen zu pflegen und in einem Zustand zu halten, als stünde die Ankunft des Hausherrn unmittelbar bevor. Seit der Geburt ihres Sohnes widmete sich Mya Mya dieser Arbeit mit all ihrer Kraft. Jeden Tag wienerte sie die Holzfußböden, als gelte es, sie in Spiegel zu verwandeln. Sie wischte am Morgen die Regale, und wischte sie am Abend erneut, obgleich sich dort in den vergangenen zwölf Stunden kein Körnchen Staub sichtbar niedergelassen hatte. Sie putzte die Fenster jede Woche und schnitt den Rasen vor dem Haus mit einer Schere, weil sie damit gründlicher sein konnte als der Rasenmäher. Sie hielt die überbordende Bougainvillea im Zaum und pflegte die Blumenbeete mit Hingabe.
Mya Mya sah die beiden Polizisten den Berg heraufkommen. Sie stand vor der Küche und schrubbte Karotten. Es war einer dieser klaren, kalten Dezembertage, und Mya Mya war in Eile. Sie hatte sich beim Polieren der Fußböden im ersten Stock zu viel Zeit gelassen und war nun in Sorge, dass sie am Nachmittag die Küche nicht mehr schaffen würde, und sollte der Hausherr morgen kommen, würde er sein Anwesen nicht in makellosem Zustand vorfinden, und das würde all die Arbeit der vergangenen Jahre zunichte machen, weil er glauben müsste, sein Eigentum sei von Mya Mya nicht gepflegt worden. Ein Tag der Verwahrlosung kann schwerer
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