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Herzenhören

Herzenhören

Titel: Herzenhören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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benutze ich als Filter) und einen Sack mit der Tabakmischung. Ich sitze jeden Nachmittag zwei bis drei Stunden auf der Veranda, lege eine Hand voll Tabak in ein Blatt, presse es ein wenig, rolle es zwischen den Händen hin und her, bis es fest, aber nicht zu hart ist, stopfe den Filter hinein, falte das Blatt und schneide das eine Ende ab. Der Mann sagt, er habe noch nie eine Frau gesehen, die so schnell und mühelos Cheroots rollen kann. Seine Kunden sind ganz begeistert und behaupten, meine Cheroots hätten einen besonderen Geschmack, der sich von den Zigarren der anderen Frauen unterscheidet. Sollten sie sich weiterhin so gut verkaufen, müssen wir uns um unsere Zukunft keine Sorgen machen.
    Gerade fängt es an zu regnen. Noch immer überläuft mich eine Gänsehaut bei jedem Schauer.
    In Liebe,
    deine Mi Mi
    Mein Tigerchen,
    den Schmetterling habe ich vor einigen Wochen tot auf unserer Veranda gefunden. Ich habe ihn gepresst. Es ist einer von denen, deren Flügelschlag du am liebsten mochtest. Er würde dich an das Pochen meines Herzens erinnern, hast du mir einmal gesagt. Keiner klänge zarter…
    U Saw ließ den Brief fallen. Er stand auf und ging ans Fenster. Es regnete. Die Tropfen bildeten dicke Blasen auf den Pfützen, die aber schnell zerplatzten.
    Tin Win und Mi Mi waren von Sinnen, daran bestand für ihn kein Zweifel. Nicht ein bitteres Wort, selbst nach einem Jahr des Schweigens. Nicht die Andeutung eines Vorwurfs. Warum schreibst du mir nicht? Wo bleiben deine Antworten? Ich schreibe jeden Tag, und du? Liebst du mich nicht mehr? Gibt es jemand anderen?
    Er war froh, dass die Liebe keine ansteckende Krankheit war. Sonst müsste er jetzt alle Hausangestellten entlassen und die Villa und den Garten gründlich reinigen. Womöglich hätte er sich selbst schon infiziert, wäre einer der Frauen im Haus verfallen. Ein törichter Gedanke, dem er sich nicht weiter hingeben wollte.
    U Saw dachte darüber nach, ob die Briefe an seinen Plänen irgendetwas änderten. Vermutlich nicht. Der Liebeswahn würde vorüber gehen, davon war er überzeugt. Es gab kein Gefühl, das stark genug war, der zersetzenden Kraft der Zeit zu widerstehen. An der Entfernung und den Jahren würde auch diese Liebe zerbrechen.
    Davon abgesehen hatte sich Tin Win seit seiner Ankunft als außerordentlich tüchtig und nützlich erwiesen. Er hatte die vom Astrologen prophezeite Katastrophe verhindert. Die Geschäfte liefen besser denn je, und das, obwohl die Zeiten immer schwieriger wurden. Außerdem hielten ihn die Lehrer der St. Pauls High School, immerhin die bei weitem angesehenste Schule in Birma, für hoch begabt. Ihm stünde eine glänzende Zukunft bevor. Nach seinem Abschluss in einem Jahr würde ihn jede Universität in England aufnehmen und ihm mit Sicherheit ein Stipendium anbieten, glaubte der Direktor. Begabte Einheimische seien in Zukunft gefragt.
    U Saw hatte sich geschmeichelt gefühlt, aber der Krieg in Europa machte ihm Sorgen. Er würde sich ausweiten. Die Japaner rückten in Asien weiter vor, und es konnte sich nur noch um Monate, vielleicht Wochen handeln, bis sie das britische Kolonialreich angreifen würden. Wie lange würden die Engländer dann in Europa den Deutschen standhalten können? Für ihn war es nur eine Frage der Zeit, bis über Big Ben die deutsche Flagge wehen würde. Die Epoche, in der London die Hauptstadt der Welt war, ging unwiderruflich zu Ende.
    U Saw hatte andere Pläne.
    6
    T in Win hatte sich die Abfahrt eines Passagierdampfers sehr feierlich vorgestellt. Die Mannschaft an Deck und in weißen Uniformen. Musik. Wimpel und Fahnen im Wind. Ein paar Worte des Kapitäns vielleicht. Stattdessen liefen Matrosen in ölverschmierten Anzügen an ihm vorbei. Es spielte keine Kapelle. Es regnete keine Luftschlangen und kein Konfetti. Er lehnte an der Reeling und blickte hinunter auf den Kai. Im Schatten eines Lagerschuppens standen ein Pferdewagen und mehrere Rikschas, deren Fahrer in ihren Kutschen lagen und schliefen. Die Brücke war längst eingezogen; vor dem Schiff warteten noch einige Männer von der Hafenbehörde in Uniform. Ein paar Angehörige von Passagieren starrten die schwarze Schiffswand hoch und winkten. Sie reckten ihre Hälse wie junge Vögel, dachte Tin Win. Er sah niemanden, den er kannte. Hla Taw war auf Geheiß von U Saw zu Hause geblieben. Ein Fahrer hatte Tin Win zum Hafen gebracht. Zwei Gepäckträger hatten ihm seinen Koffer abgenommen und an Bord geschleppt. Sie waren längst fort.
    U

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