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Herzenhören

Herzenhören

Titel: Herzenhören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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deiner Brüder durch Kalaw gehen oder zu Hause in der Küche das Essen vorbereiten. Ich höre dich lachen und höre den Klang deines Herzens, den schönsten Laut, den ich je vernommen habe. Ich sehe dich leiden, aber nicht entmutigt. Ich sehe dich traurig, aber nicht ohne Freude und Glück. Ich hoffe, ich täusche mich nicht. Eine Stimme in mir sagt, dass es dir ähnlich geht wie mir.
    Sei nicht böse, aber ich muss jetzt Schluss machen, Hla Taw wartet. Er nimmt meinen Brief jeden Morgen mit zur Post, und ich möchte nicht, dass ein Tag vergeht, an dem du nichts von mir hörst. Bitte grüße Su Kyi, deine Eltern und Brüder von mir. Ich denke viel an sie.
    Ich umarme und küsse dich,
    dein dich über alles liebender
    Tin Win
    Geliebte Mi Mi,
    wenn ich nachts in den Himmel über Rangun schaue, sehe ich Tausende von Sternen, und es ist für mich ein tröstlicher Gedanke, dass es etwas gibt, das wir jeden Abend teilen können. Wir sehen dieselben Sterne. Ich stelle mir vor, dass sich jeder unserer Küsse in einen Stern verwandelt hat. Sie stehen am Himmel und wachen über uns. Mir leuchten sie den Weg in der Dunkelheit. Der größte aller Planeten bist du, meine Sonne…
    U Saw las nicht weiter. Er schüttelte den Kopf, legte den Brief zur Seite und zog eine Hand voll neuer Umschläge aus dem Haufen, der vor ihm lag.
    Geliebte Mi Mi,
    warum steht die Zeit still, wenn du nicht bei mir bist? Die Tage sind endlos. Selbst die Nächte haben sich gegen mich verschworen. Ich kann nicht schlafen. Ich liege wach und zähle die Stunden. Ich habe das Gefühl, dass ich allmählich die Fähigkeit des Hörens verliere. Seit ich wieder mit meinen Augen sehe, werden die Ohren schlechter.
    Hören gegen Sehen? Ein entsetzlicher Gedanke. Es wäre ein schlechter Tausch. Ich traue meinen Ohren mehr als meinen Augen. Sie sind mir bis heute fremd. Vielleicht bin ich von ihnen enttäuscht. Noch nie habe ich die Welt mit ihnen so klar und deutlich, so schön und intensiv gesehen, wie mit deinen Augen. Mit ihnen ist der Halbmond nur der Halbmond und keine Melone, von der du die Hälfte gegessen hast. Mit ihnen ist ein Stein nichts als ein Stein und kein verzauberter Fisch, und am Himmel ziehen keine Wasserbüffel, Herzen oder Blumen vorbei. Nur Wolken.
    Aber ich will nicht klagen. U Saw ist gut zu mir, ich konzentriere mich auf die Schule und glaube, dass ich am Ende des Schuljahres wieder bei dir sein kann.
    Vergiss nicht die Grüße an Su Kyi, die Gute. Ich küsse und umarme dich,
    für immer dein
    Tin Win
    Geliebte Mi Mi,
    über sieben Monate ist es jetzt her, dass U Saw mich in die Schule geschickt hat. Gestern haben sie mich zum dritten Mal einen Jahrgang höher gestuft, nun bin ich da angelangt, wo ich vom Alter her hingehöre, sagen sie. Niemand versteht, wie ein Blinder in einer Klosterschule in Kalaw so viel lernen konnte. Sie kannten U May nicht…
    Geliebte Mi Mi,
    verzeih mir, falls die Briefe der vergangenen Wochen zu traurig klangen. Ich möchte dich mit meiner Sehnsucht nicht belasten. Mach dir bitte keine Sorgen um mich. Manchmal ist es einfach schwer, nicht zu wissen, wie lange ich noch stark sein muss, wann ich dich endlich wiedersehe. Aber es ist nicht Sehnsucht oder Angst, die ich fühle, wenn ich an dich denke. Es ist eine grenzenlose Dankbarkeit. Du hast mir die Welt geöffnet, und du bist ein Teil von mir geworden. Ich sehe die Welt mit deinen Augen. Du hast mir geholfen, meine Angst zu überwinden. Mit deiner Hilfe habe ich gelernt, sie zu ertragen. Meine Gespenster überwältigen mich nicht mehr. Mit jedem Mal, wenn du mich berührt hast, mit jeder Stunde, die ich deinen Körper auf meinem Rücken, deine Brüste auf meiner Haut, deinen Atem in meinem Nacken spüren durfte, sind sie kleiner geworden. Geschrumpft. Gebändigt. Ich wage es, ihnen in die Augen zu schauen. Du hast mich befreit. Ich bin dein.
    In Liebe und Dankbarkeit
    Tin Win
    U Saw faltete die Briefe wieder zusammen. Er hatte genug gelesen. Wo hört die Liebe auf, und wo fängt der Wahnsinn an, fragte er sich, während er die Papierbögen wieder in ihre Umschläge steckte. Gab es überhaupt einen Unterschied?
    Warum schrieb Tin Win fortwährend von der Dankbarkeit und Achtung, die er dieser Frau gegenüber empfand? Selbst bei längerem Nachdenken fiel U Saw kein Mensch ein, vor dem er besondere Achtung hatte. Er respektierte einige der Reismühlenbesitzer, sicher. Vor allem jene, die erfolgreicher waren als er. Vor manchen Engländern hatte er Respekt, obwohl

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